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: Doch nicht Notwehr: Polizist hatte über tödlichen Schuss in Nantes gelogen

Nach tagelangen Unruhen wegen eines tödlichen Polizeischusses im westfranzösischen Nantes hat ein französischer Polizeibeamter vor dem Untersuchungsrichter gestanden, in seiner ersten Aussage zu dem Fall am Dienstag gelogen zu haben. Es sei nicht Notwehr gewesen, wie der Angehörige der Elitetruppe CRS nun einräumte, als er bei einer Personenkontrolle im Quartier Le Breil von Nantes einen Schuss aus seiner Dienstwaffe abgab, der einen jungen Mann tödlich verletzte. Es sei ein Unfall und ein Versehen gewesen, das er zutiefst bedaure, teilte sein Anwalt den Medien mit. Sein Mandant habe jetzt erklärt, dass er versucht habe, den am Steuer seines Fahrzeugs sitzenden 22-jährigen Aboubakar Fofana am Arm festzuhalten, dabei sei der Schuss aus der Waffe in der anderen Hand losgegangen.

Der Tod des jungen Manns hatte in mehreren Quartieren von Nantes schwere Krawalle ausgelöst. In vier aufeinanderfolgenden Nächten kam es zu Straßenschlachten zwischen aufgebrachten Jugendlichen und der Polizei. Zahlreiche Autos, Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen wie eine Schule wurden in Brand gesteckt. In der Nacht auf den Freitag dehnten sich diese gewaltsamen Proteste auf weitere Quartiere aus.

Freunde und junge Nachbarn des Getöteten waren überzeugt, dass die Behörden aus Prinzip die Polizei decken würden. Dass der Beamte selber zugestanden hat, dass von einer Notwehr im Sinne des Gesetzes keine Rede sein kann, hat am Wochenende zu einer Beruhigung beigetragen. Gegen den Polizisten ist ein gerichtliches Verfahren eingeleitet worden.

Am Donnerstagabend war auf Wunsch der Familie des getöteten Abubakar Fofana ein Trauermarsch zunächst in Ruhe verlaufen. Doch am Ende des Umzugs forderten Demonstranten lautstark „Wahrheit für Abubakar“, sie riefen auch Slogans wie „Polizei überall, Gerechtigkeit nirgendwo“ gegen die Polizei. Am Ort des Geschehens steht auf eine Mauer gesprayt: „Der Staat mordet“.

In ihrer ersten Version hatten die Polizisten angegeben, der wegen bandenmäßigen Diebstahls gesuchte Fofana habe bei der Kontrolle versucht, sich mit seinem Auto im Rückwärtsgang der Festnahme zu entziehen. Dabei habe er einen Polizisten gerammt. In dieser akuten Bedrohungssituation habe ein Kollege dann aus „Notwehr“ einen einzigen Schuss abgegeben, der den Lenker tödlich am Hals verletzte.

Augenzeugen dagegen erklärten, sie hätten keinen Polizisten hinter dem Auto gesehen, der bedroht war. Auch sei der Schuss ohne jede erkennbare Vorwarnung gefallen. Damit stellte sich auch die Frage der „Verhältnismäßigkeit“ bei der Reaktion des Beamten.

Die Debatte über den legalen Waffeneinsatz geht weiter: Im letzten Jahr war die Definition der Notwehr im Dienst auf Drängen der Polizisten erweitert worden. Anlass dafür waren nicht nur die terroristische Attentate, sondern auch gewaltsame Angriffe auf Beamte. In der Folge hat der Waffeneinsatz im Jahr 2017 im Vergleich zu 2016 um 54 Prozent zugenommen. In 17 Fällen endete dies tödlich. Rudolf Balmer, Paris