wortwechsel
: Linker Antisemitismus: ein schwerer Vorwurf

Verbirgt sich hinter Kritik am israelischen Staat eine antisemitische Grundhaltung? Wird der wahre Antisemitismus nicht mehr gesehen? Eine endlose Kontroverse

Jeremy Corbyn. Geliebt von der Basis. Gehasst von der Fraktion Foto: Darren Staples/reuters

Muss Corbyn weg?

„Den Tories und dem Antisemitismus ein Ende“, taz vom 5. 9. 18

Nachdem die Kampagnen: Corbyn der Stalinist, Corbyn der naive Old-School-Politiker, Corbyn der politikunfähige Kriegs- und Rüstungsgegner, Corbyn der zu einem Mitgliederschwund in der Partei führen wird – allesamt trotz enormen finanziellen und publizistischen Einsatzes wirkungslos blieben, wurde und wird der Vorwurf des Antisemitismus jetzt auf allen Kanälen aktiviert. Aus dem Labour-Slogan „For the Many not the Few“ machten die lautstark vereinigten „besorgten“ Corbyn-Gegner aller Lager jetzt den Vorwurf, die Corbyn-Partei sei „For the Many not the Jew“. Ein sehr zweischneidiges und makabres Wortspiel.

Die taz macht bei dem gefährlichen Spiel oft und gerne mit. Statt sachlicher Berichterstattung über das politische Geschehen in Großbritannien bringt sie ohne wirklich besonderen Anlass eine ganze Seite mit Befragungen und Fotos der Befragten zum „Problem Jeremy Corbyn und der Antisemitismus“. Klar, dass einige der Aussagen pro Corbyn sind, man ist ja aufgeklärt und nicht die Daily Mail; Hauptsache Antisemitismus ist wieder einmal die ganzseitige Schlagzeile und Corbyn ist mit dabei.

Es wird unter anderem immer wieder behauptet, dass die weithin anerkannte Antisemitismusdefinition der IHRA von Corbyns Labour Party nicht akzeptiert sei oder sie, wie die taz als Beleg für Antisemitismus schreibt, „verwässert“ wurde. Tatsache ist, dass Labour sie von Anfang an voll anerkannt hat, lediglich einige wenige der angefügten Erklärungen, die sich fast alle auf die Kritik an Israel beziehen, wurden nicht übernommen. Diese waren vor den Zustimmungen in England und anderswo höchst umstritten und sind es bis heute, auch juristisch, auch verfassungsrechtlich. Inzwischen, unter dem massiven Dauerfeuer der Kritiker, hat die Partei diese auch übernommen.

Die Kampagnen werden dennoch weitergehen; Corbyn muss weg – bis die Labour Party wieder eine ganz normale sozialdemokratische Partei geworden ist – so wie die SPD in Deutschland oder die PS in Frankreich, die dann wieder so viel Stimmen bekommt wie vor Corbyns Antritt, also etwa die Hälfte? Und genau so viel wie die rechtsradikalen und tatsächlich antisemitischen Parteien in Deutschland und Frankreich? Malte Rauch, Frankfurt am Main

Per se „antisemitisch“

„Der globale Antisemitismus und die antisemitische Revolution“, taz vom 8./9. 9. 18

Seit einigen Monaten findet in der taz eine sehr einseitig geführte Antisemitismusdebatte statt. Da kamen mehrfach die Corbyn-KritikerInnen ausführlich zu Wort, ohne die Positionen von Corbyn und dem Labour-Vorstand auch nur ansatzweise gleichermaßen darzustellen.

Herr Michalski versucht in der aktuellen taz anhand des Wortes „Israelkritik“ (das nebenbei bemerkt nicht von den „Israelkritikern“ stammt, sondern von deren Gegnern) nachzuweisen, dass Kritik an der israelischen Politik der Unterdrückung und Entrechtung gegenüber den PalästinenserInnen per se „antisemitisch“ sei. Das sagt er natürlich nicht so platt, aber seine Argumentation lässt keinen anderen Schluss zu.

Den vorläufigen Tiefpunkt stellt der Artikel von Samuel Salzborn mit seiner Behauptung einer „antisemitischen Revolution“ dar. Seine steile These (Verschwörungstheorie einmal aus einer anderen Ecke) hätte zumindest redaktionell eingeleitet und begleitet werden sollen. Insgesamt schadet diese Debattenkultur dem Kampf gegen die tatsächlich vorhandenen antisemitischen Tendenzen, aber auch dem Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina. Rainer Kandler, Bonn

„Deutsche und Juden“

„Die Einschläge kommen immer näher“, taz vom 8./9. 9. 18

Herr Michalski hat das Wort „Israelkritik“ als „Vernebelungswort für legitimierten Antisemitismus“ bezeichnet und seine „toxische Bedeutung“ entlarvt. Für viel giftiger halte ich eine Wortkombination, die immer noch häufig vorkommt: „Deutsche und Juden“. Da wird nicht bloß vernebelt, sondern ausgegrenzt und vernichtet, da werden Religion und Staatsangehörigkeit vermischt. Diese Ungeheuerlichkeit sollte jedem bewusst werden, wenn er mal andere Kombinationen probiert: Deutsche und Katholiken, Deutsche und Protestanten – da käme sofort Protest, aber Deutsche und Juden? Schleichendes Gift?

Marlies Beitz, Stuttgart

Gewaltige Schuld

„Bockwurst und weiße Elefanten“, taz vom 7. 9. 18

Das Quälen von Mitschülern ist keine Kritik, es ist eine Form von Gewalt. Wenzel Michalski meint, der Begriff Israelkritik, den es nur in Deutschland und nur gegenüber dem Staat Israel gibt, vernebele Antisemitismus. Er fragt, ob dieser Begriff die immer noch „verkrampfte Beziehung“ der Deutschen zum Judentum spiegele, ob nicht aus diesem Wort eine immer noch tiefsitzende Abscheu gegen alles Jüdische spreche. Erwartet er denn ernsthaft eine „locker-unverkrampfte“ Beziehung?

Die historische Schuld der Deutschen gegenüber den Juden ist so gewaltig, dass das Wort Israelkritik den Deutschen eine bescheidene Lizenz gibt, um sich über die israelische Besatzungspolitik zu empören und mit den Opfern dieser Politik, den Palästinensern, die Empathie zu empfinden, die ihnen die Mehrheit der Israelis verweigert.

Herr Michalski meint, dass an Israel höhere moralische Maßstäbe angelegt werden als an andere Länder. Nein, ein Teil des Problems ist, dass eine Demokratie, von deren Bewohnern viele Kinder von Holocaust-Überlebenden sind, nicht an sich selbst höhere moralische Maßstäbe anlegt. Das deutsche Wort Israelkritik wird dringend gebraucht, um mit einer schwer erträglichen Mischung aus eigener historischer Schuld und Fremdscham umzugehen. Stefan Hirschauer, Mainz

Promi-„Antifa“

„Antifa durch die Nacht“, taz vom 8./9. 9. 18

Es ist peinlich, dass es in der taz für nötig befunden wird, Mickie Krause positiv zu zitieren (ein paar Floskeln im Mainstream der sonst gesellschaftspolitisch unambitionierten Promi-„Antifa“). Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Zeitung, die so viel Wert auf Political Correctness und auf engagierten Journalismus legt, einem Sänger, der durch krass frauenfeindliche Texte und Bühnenauftritte bekannt ist, ein Forum gibt. Schade, dass dem Rassismus gegen Frauen so wenig entgegengehalten wird. Da kann die taz sich auch die durchgehend gegenderte Sprache schenken. Carolina Gerbsch, Düsseldorf

Weiß und Schwarz

„Bockwurst und weiße Elefanten“, taz vom 7. 9. 18

Liebe Tazzen, in der Illustration sind elf Personen. Neun davon tun Belangloses. Aber zwei davon treiben miteinander offenbar illegalen Handel, darunter der einzige Schwarze. Also sind in der Illustration 10 Prozent aller Weißen kriminell und 100 Prozent aller Schwarzen. Sonst noch Fragen? Horst Löffler, Köln