Kleine Provokation

Thema „Vaterland“: Eine Braunschweiger Ausstellung rührt an wunden Punkten anderer

Deutsche Verteidigungstechnik, tragisch betrachtet: Bodenproben, gesammelt an „Starfighter“-Absturzstellen Foto: BKK

Von Bettina Maria Brosowsky

Drei große schwarze Fahnen wehen im Giebeldreieck des klassizistischen Torhauses, das der Bund Bildender Künstler in Braunschweig (BBK) mit seinen gut 130 Mitgliedern für Ausstellungen nutzt. Auch das Plakat irritiert: granitbraun-blutrot changierend, darauf ein eingemeißelt wirkende Schriftzug: „Vaterland“, und das auch noch in Fraktur. Irritiert offenbar derart, dass irgendwer noch vor der Eröffnung „Nazis“ auf Fußweg und Fassade schrieb – wenngleich nur mit abwaschbarer Kreide. Ganz so, als wäre sich der Kommentator seiner Sache dann doch nicht sicher gewesen.

Aber, ja: Diese Ausstellung will provozieren. Für sie tat sich eigens das „Kunst Kollektiv Kreuz“ (KKK) zusammen, und die fünf darin Verbündeten wollen „eine Auseinandersetzung“, so besagt es der Untertitel. Initiator des KKK ist Friedhelm Kranz, 1958 in Bremen geboren, ansonsten Geschäftsführer einer Braunschweiger Werbeagentur. Er weiß natürlich, wie das geht: Aufmerksamkeit. Und die zu erregen ist im Außenauftritt und der fotografischen Selbstdarstellung, beide nicht vor ästhetischem Pathos zurückschreckend, perfekt gelungen. Ungeplanterweise eröffnete die Ausstellung auch noch rund um den Zeitpunkt herum, als rund 300 Kilometer südöstlich, in Chemnitz, AfD, Pegida und weitere „besorgte Bürger“ für Heimat und, ja: Vaterland mobilisierten.

Die Arbeiten im Inneren des Hauses gehen dann mit Freude am Aufspüren und Interpretieren auch abwegiger Phänomene dem Mythos des Deutschen nach. Was ist deutsch? Was bleibt, wenn ein deutsches Land, die DDR, verschwindet? Und ist – vermeintlich – Deutsches überhaupt deutsch? Eine Deutungshoheit wolle man nicht den Rechten überlassen, sagt Kranz, und auch dem einschlägig konnotierten Begriff „Vaterland“ nicht ausweichen.

Von Kranz stammt der Grundstock der Exponate; einiges war in Kooperation entstanden mit seinen Kollegen Andreas Greiner-Napp (Foto und Video) sowie Erick Miotke (Sound und Schnitt). So die Recherchen zum „Starfighter“: Das Flugzeug wurde in den Jahrzehnten des Kalten Krieges, entgegen fachlicher Expertise, für die westdeutsche Luftwaffe und Marine als Abfangjäger gekauft. Wegen störanfälliger Technik ereilte ihn schnell der Ruf als „Witwenmacher“, von den gut 900 zwischen 1960 und 1991 betriebenen Maschinen gingen 269 durch Abstürze verloren, 116 Piloten kamen zu Tode.

Kranz und Kollegen besuchten und dokumentierten Absturzstellen, auch in den USA, Kranz entnahm immer Bodenmaterial, das in Einmachgläsern konserviert und im Regal nun zum (namensgebenden) Kreuz arrangiert ist. Die hoheitlich deutsche Vaterlandsverteidigung war also eine Tragik von internationaler Dimension. International sind auch die Schätze deutschen Schlagerliedgutes der 1960er-, 1970er-Jahre, die eine funktionsfähige alte Musikbox zum Besten gibt: InterpretInnen wie Peter Alexander, Wencke Myhre oder Billy Mo – allesamt keine „Biodeutschen“.

Andreas Greiner-Napp, 1960 in Jena geboren, war in der DDR wegen Fotografierens sicherheitsrelevanter Bereiche inhaftiert. In den 1980er-Jahren setzte er sein Kunst- und Fotografiestudium in Braunschweig fort. In melancholischen Aufnahmen setzt er sich mit seiner, individuell ja zweifach verlorenen Heimat auseinander: Wie Palimpseste erzählen sie von Zeitschichten noch aus dem Deutschen Reich, der DDR und dem wiedervereinten Deutschland.

Erick Miotke steuert eine Überkreuz-Toncollage unter anderem aus populären Unterhaltungssendungen bei, in ihrem Zentrum dreht sich der Stein-, oder aber Bundesadler von Gernot Baars. Der transparente Flattermann ist aus Acrylglas und Heißkleber gefertigt, zu seinen Füßen liegen Eichenlaub und Totenkopf. Der Fünfte im Bunde, Michael Nitsche, nahm den Begriff Vaterland ganz wörtlich: eine kleine menschliche Figur, ein gerupfter Landmann, reflektiert das geistige Vermächtnis seines Vaters, der die Liebe zu Natur, Boden, Tieren und besonders Vögeln in ihm geweckt habe.

Die Resonanz sei gut, sagt Geschäftsführerin Julia Taut. Sie verweist auf die „partizipative Ecke“ im Obergeschoss: Hier können BesucherInnen Briefbögen, mit „Vaterland“ und „Mutterland“ überschrieben, in alte Schreibmaschinen spannen und Gedanken hinterlassen. Reflektiertes, fast Literarisches ist darunter: klare Bekenntnisse in einer Stadt mit denkbar problematischer Geschichte, mit der „Bragida“-Bewegung und einer Rats-AfD in Fraktionsstärke.

„Vaterland. Eine Auseinandersetzung“: bis 30. 9., Braunschweig, Kunsthaus BBK

Lesung Tobias Ginsburg, „Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern“: Mi, 12. 9., 19 Uhr, Institut für Pflanzenbiologie, Hörsaal 1