Das bewusste Festival

DENK-KULTUR Das erste Bremer Gypsy-Festival konfrontiert deutschen Sinti-Swing mit Roma-Brass vom Balkan und reflektiert, was die Gruppen verbindet

Antiziganismus wurde noch in der Bundesrepublik von Wissenschaftlern gelehrt

Roma, Sinti, Kalé, Zigeuner oder Manouche, zahlreich sind die Selbstbezeichnungen. Was auch daran liegt, dass es ja sehr heterogene Gruppen sind, die sich da benennen. „Das Verbindende ist im Grunde der Antiziganismus“, sagt auch Ralf Lorenzen, der das erste Bremer Gypsy-Festival im Kulturzentrum Schlachthof mit dessen Chefin Bettina Geile kuratiert. Es dauert zwei Tage, Freitag und Samstag, und lässt musikalisch deutschen Sinti-Swing auf Roma-Brass vom Balkan prallen, weicht aber eben auch jener Gemeinsamkeit nicht aus.

Es ist sogar ein politisch-historisch sehr bewusstes Festival geworden, und das muss auch so sein. Schon der Ort, der Bremer Schlachthof, gebietet das: Als im Dezember 1942 Heinrich Himmler befahl, „Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen“ binnen „weniger Wochen“ in die Vernichtung zu deportieren, richtete die örtliche Kriminalpolizei hier den Sammelplatz für den gesamten Nordwesten ein. Der erste Zug nach Auschwitz startete am 9. März 1943.

Nur wenige haben den Porajmos überlebt, das große Verschlingen, den Völkermord. Zu ihnen gehörte der Berliner Otto Rosenberg, der, große Seltenheit, denn die Kultur der Sinti ist traditionell eine mündliche, drei Jahre vor seinem Tod die Autobiografie „Das Brennglas“ veröffentlicht hat. In vielem ähnelt sein Lebenslauf jenem des 2009 gestorbenen Bremers Ewald Hanstein, dem Gründer und langjährigen Vorsitzenden des Landesverbandes der Sinti und Roma. Auch er hat vor sieben Jahren seine Erinnerungen aufgeschrieben: „Meine hundert Leben“ heißt sein Werk.

Freitagnachmittag lesen Romano Hanstein und Petra Rosenberg aus den Büchern ihrer Väter, die beide mit unfassbarer Gelassenheit die bedrückende Kontinuität des Antiziganismus thematisieren, der, anders als der Judenhass, in der Bundesrepublik sehr offen gepflegt und sogar von „Wissenschaftlern“ gelehrt wird. So muss sich Hanstein bei der Rückkehr nach Bremen die Bescheinigung über erlittenes Unrecht von Wilhelm Mündrath ausstellen lassen. Anfang 1943 war der Chef des „Zigeunerdezernats“ gewesen und für die Organisation der Deportationen zuständig. Nur selten gelingt Sinti und Roma, als Opfer anerkannt zu werden, die meisten müssen lange dafür streiten.

Ein unreflektiertes Musik-Festival liefe Gefahr, jene nett gemeinten Stereotype der Romantik zu reproduzieren, von wegen Rhythmus im Blut und freie Melodie, die nur mit anderem Vorzeichen doch dasselbe sein dürften, wie die negativen Vorurteile mit mörderischer Wirkung: Zwei Workshops widmen sich der Frage, wie man sie erkennt, vermeidet – und entkräften kann. Und trotzdem – und vielleicht erst richtig – jene Musiken genießen kann, die so zentral sind für die Findung und Behauptung kultureller Identitäten von Sinti wie Roma.

Dafür sorgen tolle Musiker, etwa die Swing Kids aus Bremerhaven, die am Freitag spielen, und das sind wirklich fast noch Kinder, aber die machen einen sehr ausgereiften, mit Pop-Elementen zeitgemäß erweiterten Gypsy-Jazz. Oder Fanfara Kalaschnikoff, ein Ensemble, dessen acht Mitglieder die wachsende Pogromstimmung in den Ländern Südosteuropas, der sie entgehen wollten, nach Berlin verschlagen hat. Eine Brassband, in jenen nicht-diatonischen Traditionen des Balkan zu Hause, Töne auf dem Sprung zwischen Okzident und Orient, knallig, laut – und unwiderstehlich tanzbar.  BES

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