„Mein Bier hält die Leute wach“

Martin Eschenbrenner

„Es ist schwierig, Bier geschmacklich zu beschreiben. Aber in meinem Braukeller gibt es viele Gäste, die über Bier reden: Ob es eine nachhängende Bittere hat, es fruchtig oder vanillig schmeckt und ob der Abgang sortentypisch ist“„Wenn sich eine Marke festsetzt, dann soll sie – so wollen es die Großbrauereien – unverändert bleiben, damit die Geschmackserinnerung an die Marke bindet. Solche Biere sind Durchschnitt – und langweilig“

Martin Eschenbrenner hat sich einen Traum erfüllt: Seit drei Jahren besitzt er in der Triftstraße im Wedding seine eigene Bierbrauerei samt Gartenwirtschaft und Bierkeller. Der 33-Jährige hält sich für einen „Asterix“ unter den Bierbrauern, der es den Großbrauereien zeigt. Er stellt zehn Biere her. Drei sind dauernd im Programm, die anderen nur einmal im Jahr für kurze Zeit, darunter Sorten mit so illustren Namen wie „Alter Schwede“ oder „Roter Wedding“. Am 27. August ist es wieder mal so weit: Da wird die „Schwarze Molle“ angestochen, ein Bier „mit einem ehrlichen Geschmack“.

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr Eschenbrenner, ist Bier bitter?

Martin Eschenbrenner: Umgekehrt wird ein Schuh draus: Kein Bier haben ist bitter.

Warum?

Bier ist das Nationalgetränk der Deutschen, das es in einer großen Vielfalt und in unterschiedlichen Farben gibt. Es steht dem Wein in nichts nach.

Sie meinen, es gibt genauso viele Bier- wie Weinsorten?

Gut, da möchte ich jetzt nicht zu viel behaupten. Wein variiert von Region zu Region. Der Boden, die Sonne, der Regen, Kälte, Wärme bestimmen den Geschmack. Beim Bier ist das nicht so. Da versucht man ein konstantes Endprodukt hinzubekommen. Die großen Brauereien versuchen die Vegetationsunterschiede auszuschalten, die die Gerste und den Hopfen beeinflussen.

Bier ist demnach ein uniformes Getränk?

Wenn sich eine Marke festsetzt, dann soll sie – so wollen es die Großbrauereien – unverändert bleiben, damit die Geschmackserinnerung an die Marke bindet. Wenn jemand Warsteiner auf Mallorca bestellt und danach wieder in Flensburg, dann soll das gleich schmecken. Solche Biere, die überall gleich und möglichst allen schmecken sollen – weder zu bitter noch zu malzig – sind Durchschnitt, weil sie den Durchschnittsgeschmack treffen.

Und aus Ihrer Sicht langweilig?

Unbedingt. Das sagt jeder Hausbrauer. Aber das Schöne: Diese uniformen Biere kommen uns zugute. Wir können es besser machen. Es ist sehr schwierig, Bier geschmacklich zu beschreiben. Aber in meinem Braukeller gibt es ziemlich viele Gäste, die reden über das Bier. Ob es eine nachhängende Bittere hat. Ob es einen harmonischen Antrunk hat, ob es fruchtig oder vanillig ist und ob der Abgang sortentypisch ist.

Heute war bei Ihnen Brautag. Was haben Sie genau gemacht?

Ausnahmsweise habe ich nur eine Sorte gebraut. Drei Sud Pils hintereinander. Morgen nochmal dasselbe. Dann sind die Bottiche voll mit 3.000 Litern.

Warum so viel Pils?

In Deutschland ist der Pilsabsatz am höchsten. Knapp zwei Drittel der Biere, die getrunken werden, sind Pilsbiere.

Finden Sie es nicht erstaunlich, dass das Bittere so geschätzt wird?

Wenn Sie Pils zum Essen trinken, dann schmecken Sie es immer noch hervor. Das ist sein Vorteil. Es hat so eine richtig schöne herbe Note, die nach dem Schlucken noch wohlig im Mund zirkuliert.

Wie sind Sie zum Bierbrauen gekommen?

Ich hab mich immer für die Lebensmittelherstellung interessiert. Bei der Bundeswehr hatte ich Zeit über meine Zukunft nachzudenken, mein Abitur war ja nicht rosig. Gott sei Dank habe ich da jemanden kennen gelernt, der mir erzählt, dass Bierbrauen ein Lehrberuf ist, dass man den Meister machen kann, dass man es zudem studieren kann. Und dass man damit, so war’s zumindest damals, viel Geld verdienen kann.

Summa summarum ein Traumjob?

In den Großbrauereien ist er es nicht mehr. Heute hat man dort nur noch Kontrollfunktion über den Ablauf des Brauprozesses. Die Kunst des Bierbrauens kommt da abhanden.

Ist der wahre Bierbrauer so was wie der Chemiker des deutschen Liebingsgetränks?

Chemiker, das kling komisch. Das Reinheitsgebot beim Bier soll ja gerade den Ausschluss von Chemikalien wie Konservierungstoffen verhindern – und das auch zu Recht. Man braucht diese Beistoffe nicht. Bier besteht aus den Fantastischen Vier: Hopfen, Wasser, Malz und Hefe.

Was ist eigentlich Malz? Was heißt Mälzen?

Beim Mälzen wird die Gerste oder der Weizen zum Keimen gebracht. Beim Keimen finden Enzymbildungsprozesse statt und ein Abbau des Mehlkörpers. Diese Prozesse werden in der Brauerei weitergeführt. Zum Schluss wird das Malz gedarrt. Das ist das Entscheidende. Davon hängt die Farbe des Bieres ab.

Darren Sie auch in der Brauerei?

Nein, ich bekomme das Malz geliefert und kann mir aussuchen, welches ich will: dunkles, helles, karamelisiertes, geröstetes. Ich entscheide, welche Malze ich dann mische. Die Hälfte helles, ein Drittel dunkles und noch etwas geröstetes, und Sie kriegen ein tolles Schwarzbier.

Sie sind also kein Chemiker, aber so eine Art Hexenmeister.

Das ist keine Hexerei. Das ist eine Wissenschaft, die man studieren kann. Ich hab das fünf Jahre lang getan mit sehr viel organischer Chemie und Mikrobiologie, denn Bier ist ein verderbliches Produkt. Die Gärung selbst wird durch den Hefepilz verursacht. Diese ganzen Vorgänge muss man verstehen, um sie beeinflussen zu können.

Durch ihr Studium sind sie nach Berlin gekommen?

Man kann das Fach in Berlin oder in Weihenstephan studieren – dort im Großbetrieb mit 80 Studenten pro Semester. Hier an der Technischen Universität sind es nur 15. Man hockt mit dem Professor zusammen, man fragt, man hat viel mehr Zeit für den Dialog. Das ganze Institut ist klasse.

Sie waren im Vorteil, weil sie vorher eine Bierbrauerlehre gemacht haben.

Das ist nicht vorgeschrieben. Aber ich wusste, wenn man als Braumeister eingestellt werden will, ist es günstig, den Beruf von der Pike auf gelernt zu haben. Als Braumeister müssen Sie die Praxis kennen.

Ihr Einmannbetrieb liegt im Wedding im Hinterhof eines Studentenwohnheims. Wie sind Sie dazu gekommen?

Wie die Jungfrau zum Kind. Ich hab schon während meiner Lehrzeit und meines Studiums in der Küche meiner Mutter Bier gebraut.

Und da wollten Sie Ihren Kommilitonen auch mal die Praxis vorführen?

So ungefähr. Irgendwie ging’s in der Küche meiner Mutter nicht mehr. Da hab ich den Geschäftsführer vom Studentenwohnheim, in dem ich wohnte, gefragt, ob er nicht was wüsste. Er hat mir dann vorgeschlagen, es doch in der leer stehenden Waschküche zu probieren. Wenn das, was rauskommt, schmeckt, könne man weitersehen. Nach einem Monat bin ich mit meinem Bier zu ihm, und er war begeistert. So fing das an.

Und dann haben Sie sich im Keller nach und nach ausgebreitet?

Richtig. Ich hab gedacht, hopp oder top, ich greif die Gelegenheit beim Schopf. Jetzt sind wir ja schon zweistöckig. Der ehemalige Partykeller der Studenten ist jetzt der Braukeller.

Die Brauerei samt riesiger Gartenwirtschaft liegt noch immer im Innenhof des internationalen Studentenwohnheims. Ist Bier so was wie ein deutscher Kulturträger?

Auf jeden Fall. Wenn ich im Ausland bin und jemand sage, ich sei Bierbrauer, dann ernte ich Bewunderung: „Oh deutsches Bier!“ Das hat nach wie vor einen guten Ruf.

Die Herstellung ist eine hierzulande gepflegte Kulturtechnik.

Die Klosterbrauereien damals haben einen großen Vorschub nicht nur in der Qualität, sondern auch in der Vielfalt geleistet. Früher war das Brauen sehr schwierig: Man wusste gar nicht, dass die Hefe die alkoholische Gärung verursacht. Erst Pasteur hat das Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt. Davor hat man immer gedacht, das sei Wotans Spucke.

Damals hat man keine Hefe zugesetzt?

Nee, damals war’s Naturgärung. Die Mönche haben es stehen lassen, bis es anfing zu gären.

Haben Sie das auch schon probiert?

Da ist mir die Zeit zu schade, die ich vorher reinstecken muss.

Wie haben die Mönche denn die Vielfalt rein gebracht?

Sie haben verschiedene Darrvorgänge ausprobiert. Außerdem haben sie Bier als Nahrungsmittelersatz in der Fastenzeit kreiert. Ihr Motto: Flüssiges bricht das Fasten nicht. Richtig starke nahrhafte Biere haben sie entwickelt. Die waren vierzig Tage lang sehr entspannt.

Bei ihnen werden auch neue Biere kreiert. Nach welchen Kriterien gehen Sie vor?

Ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, wo alle Biertypen da sind, die möglich sind. Ich braue drei Standardsorten. Pils ist das Standardbier. Das Dunkle ist eine wunderbare Alternative, weil es kräftiger und weniger herb ist. Und auf ein Hefeweizen kann man im Sommer nicht verzichten. Es prickelt, es ist fruchtig im Geschmack, und es ist auch nicht so bitter.

Zu den regelmäßigen Bieren kommen sieben Spezialitäten?

Ab nächstem Jahr sogar neun. Am Aschermittwoch zur Fastenzeit fangen wir mit dem Bockbier an. Das ist das stärkste Bier, das ich braue, eins wie es die Mönche damals machten. Das letzte im Jahr ist der „Alte Schwede“, das haut einem vom Sockel. Neu im nächsten Jahr wird der Maibock und das Rauchbier nach fränkischer Art. Das Malz wird dabei über Buchenholzspänen geräuchert. Es schmeckt wie Schinken.

Im Grunde sind Sie also nicht nur Handwerker, sondern auch Designer?

Food-Designer klingt nicht gut – die kreieren ja eher Fastfood im Labor. Was ich hier mache, das ist Slow-Food, das ist zum Genießen.

Schaffen Sie mit Ihren neuen Sorten neue Absatzmärkte?

Nein, die Spezialsorten werden ausschließlich hier verkauft. Mein Bier hält einfach die Leute wach und neugierig. Mensch, was gibt es denn diesmal Neues?

Gibt’s Ihr Bier auch in Flaschen?

Nur vom Fass. Man kann mit dem Siphon, den Ein-, Zwei- oder Dreiliterflaschen hier vorbeikommen, sich die am Zapfhahn füllen lassen und mit nach Hause nehmen.

Wie früher die Milch in der Kanne.

Genau so. Traditionell und frisch. Die Deutschen geben EU-weit mit Abstand das wenigste Geld für Nahrungsmittel aus – lieber stecken sie’s ins Auto. Und dann beschweren sie sich noch, dass was zu teuer ist, wo wir so niedrige Lebensmittelpreise haben – da leidet Qualität und Genuss.

Ihr Bier ist naturbelassen?

Auf jeden Fall. Auch wenn ich Hopfen und Malz verwende, das konventionell angebaut wird, bin ich mit den Biofreaks im Einklang. Das hier gebraute Bier ist frisch, unfiltriert und nicht pasteurisiert. Deshalb ist es trüb. Und es kommt ohne Zwischenhändler von der Brauerei direkt auf den Tisch – ohne jegliche Transportwege.

Eins Ihrer Biere trägt den Protest im Namen. Es heißt Roter Wedding. Ein anderes heißt Schwarze Molle. Passen Sie Ihr Gebräu der Umgebung an?

Der Rote Wedding ist eine Hommage an den Bezirk. Die Schwarze Molle ist so schwarz, dass sie noch nicht mal mit ner Taschenlampe durchgucken können. Wenn Sie sechs Halbe getrunken haben, sehen Sie schwarze Löcher. Ein Politiker der Grünen hat mich schon gefragt, wie wohl das grüne Bier aussehen wird. Er wird wohl lange warten müssen.