Witwe sinnt auf späte Sühne

Holländische Behörden beantragen, den Hamburger Ex-RAF-Kader Knut Folkerts in Haft zu nehmen, um ein Urteil wegen Mordes zu vollstrecken: Er soll 1977 bei seiner Festnahme einen Polizisten getötet haben. Deutsche Justiz offiziell zurückhaltend

Von Magda Schneider

Knut Folkerts droht von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Fast 30 Jahre nach dem Tod des Polizisten Arie Kranenburg im niederländischen Utrecht hat die dortige Justiz ein Rechtshilfeersuchen an die Hamburger Justizbehörde gesandt. Sie möge den inzwischen 53-jährigen Hamburger und Ex-Kader der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) in Haft nehmen. Damit soll im verspätet ein Urteil wegen Mordes vollstreckt werden. Der Vorgang werde geprüft, sagt Staatsanwaltssprecherin Monika Zippel: „Der Fall wirft viele auch verfassungsrechtliche Fragen auf.“

Der Deutsche Herbst 1977: Die Konfrontation zwischen der RAF, der militanten Linken und dem Staat hat einen historischen Höhepunkt erreicht. Die RAF verübt tödliche Attentate auf den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto und Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer wird im September von einem RAF-Kommando auf offener Straße entführt, seine Begleiter erschossen, Schleyer selbst nach mehreren Wochen Gefangenschaft ebenfalls. Es herrscht Ausnahmezustand in der BRD.

Die so genannte zweite RAF-Generation – oder vielmehr: die „Küken der 1. Generation“ – hat in dieser Zeit die emanzipatorischen Ansätze der RAF längst fallen gelassen. Sie kämpft nur noch um die Freilassung inhaftierter GenossInnen. Der Freipressung von Inhaftierten gilt auch die Entführung des einstigen NS-Funktionärs Schleyers. Und das, obwohl nach der – mit Freilassung geendeten – Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz durch das Kommando „Bewegung 2. Juni“ im Sommer eigentlich klar ist, dass sich die Bundesrepublik auf solche Deals nicht mehr einlassen würde.

Der Staat reagiert seinerseits: Drastische Sondergesetze wie der Paragraph 129a, Rasterfahndung und Kontaktsperre sind nur einige Schlaglichter. Kaum ein Ausflug in jener Zeit, ohne dass junge Menschen, die ins Staatsschutz-Profil passen, nicht ins Visier geraten und bei Fahrzeugkontrollen in Maschinengewehrläufe gucken. Beim kleinsten Hinweis werden Wohnungen und Kneipen von Spezialkommandos gestürmt.

Diese Hysterie macht an den Grenzen nicht halt: Die Anrainerstaaten, so auch die Niederlande, fühlen sich aufgefordert, bei der Jagd auf die RAF mitzumachen. Am 22. September 1977 überrascht ein Spezialkommando Folkerts bei der Rückgabe eines Mietautos in Utrecht. Es kommt zu einem Schusswechsel, bei dem der Polizist Arie Kranenburg tödlich getroffen wird. Folkerts wird überwältigt und wenige Wochen später von einem Gericht in Utrecht zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt – wegen Mordes.

Ein rechtes Interesse zeigen die Holländer dann jedoch nicht: Schon bald verzichten sie auf Verbüßung der Strafe. Folkerts wird den deutschen Behörden überstellt, die im Kampf gegen die RAF unter massivem Erfolgszwang stehen. 1980 wird er wegen der vermeintlichen Beteiligung an dem Attentat auf Buback zu lebenslanger Haft verurteilt. 1995 schwört er dem gewaltsamen Kampf ab und kommt vorzeitig frei. Seit seiner Haftentlassung lebt er in Hamburg.

Jetzt, nach fast 30 Jahren, drängt die Polizisten-Witwe Joke Kranenburg auf Sühne. Seit geraumer Zeit sorgt sie in niederländischen Medien für Schlagzeilen, da angeblich Freunde von ihr gesehen haben wollen, wie Folkerts „lustig pfeifend“ durch Utrecht spaziert sei. Zur Bewältigung der Tatfolgen fordert sie die Bestrafung des „Rotzak“ („Scheißkerls“).

2004 gab es die ersten Vorstöße der niederländischen Justiz. Sie forderte eine Auslieferung Folkerts – diese „war damals nur mit seiner Einwilligung möglich, das hat er natürlich abgelehnt“, so Staatsanwältin Zippel. Jetzt kommt eine Auslieferung Knut Folkerts als deutschem Staatsangehörigen ohnehin nicht mehr in Frage, nachdem das Bundesverfassungsgericht unlängst den „internationalen Haftbefehl“ für grundgesetzwidrig erklärt hat.

Dass mittlerweile ein Vollstreckungsbegehren aus den Niederlanden vorliegt, bestätigt Justizbehördensprecher Carsten Grote der taz. Zunächst müsse die Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme abgeben, danach die Strafvollstreckungskammer. Es stellen sich jedoch nach Insider-Meinungen juristisch knifflige Fragen zu Begnadigung, Verjährung und dem internationalen Strafverfolgungsrecht. Grote: „Dazu sagen wir zurzeit nichts.“

Folkerts schweigt ebenfalls.