Manche werden verschluckt

Die Welt geht den Bach runter, die Krisensirenen heulen. Der Zustand der Gegenwart wird im Monologfestival im Theaterdiscounter unter dem Titel „Alarmstufe Rot“ von vielen Seiten betrachtet. Mit dabei Schorsch Kamerun

Schorsch Kamerun auf dem Monologfestival „Alarmstufe Rot“ Foto: Loris Rizzo

Von Annika Glunz

Eine Frau betritt etwas benommen die Bühne. Nackt, bemalt, zersaust. Sie beginnt, sich anzuziehen, um anschließend mit von Panik verzerrtem Gesicht quer durch den Theaterdiscounter zu rennen. Im Hintergrund Punkmusik. Angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe stehen die Zeichen auf Alarm in dieser Welt, in Europa spüren wir sie nur (noch) nicht direkt. Was tun? Adrienn Bazsó von den NomerMaids schreit „Run, run, run!“ und wirbelt immer verzweifelter auf der Bühne des ausverkauften Saals hin und her.

„Mutter_f*ing_erde & co“ nennt sich das Stück, das Baszó im Rahmen des Monologfestivals im Theaterdiscounter performt. Handlungsmöglichkeiten in einer „klimadepressiven Gegenwart“ soll es zeigen. Losrennen wäre eine Variante. Schuldzuweisungen eine andere: „Wie könnt ihr es wagen, in den Spiegel zu sehen, nach allem, was ihr der Erde angetan habt? Wie könnt ihr es wagen, so weiterzumachen wie bisher?!“, fragt Bazsó. In kurzen Videosequenzen werden Mädchen befragt, ob sie Angst vor der Zukunft hätten. „Ich glaube sehr daran, dass Greta noch etwas bewegt“, ist eine Antwort.

Yoga praktizierend widmet sich Baszó anschließend dem „Consumo ergo sum“ westlicher Industrienationen, um von dort aus direkt auf die Optimierung des eigenen Körpers nach bestimmten Schönheitsidealen zu sprechen zu kommen. Die Filmsequenz im Hintergrund zeigt Baszó nackt, überall auf die Haut sind gestrichelte Linien und Pfeile gezeichnet, die aufzeigen sollen, wo überall etwas nicht passt: zu dick, zu dünn, zu klein, zu groß.

Den Tränen nahe

Oben an Baszós Fuß sieht man plötzlich eine US-Flagge, dann kriechen unter ihren Knien kleine Panzer hervor. Nach und nach bedecken immer mehr symbolische Gegenstände ihren Körper, bis sie am Ende unter ihnen begraben ist. Den traurigen Höhepunkt ihrer Performance bildet wohl „The World Famous Mother Earth Song Contest“: In Baszós Version von Louis Arm­strongs „What a wonderful world“ werden im Hintergrund Bilder von brennenden Wäldern und mit Plastik durchtränkten Meeren gezeigt, deren geballte Dramatik einem die Tränen in die Augen steigen lässt.

10 Premieren von namhaften Künstler*innen und Newcomern bringt das Monologfestival im Zeichen der Krise und der Panik zusammen. Showcase Beat Le Mot kommen mit einem schwarz-weißen, riesigen Ungetüm als Protagonist ihrer etwa vierzigminütigen Performance mit dem Titel „Alarmstufe Rot ist, wenn Liebe ist“ in den Theaterdiscounter. Zu Beginn hält sich das aus mit Stoff überzogenen Luftmatratzen, Schaumstoffteilen, Gymnastikbällen und Abluftschläuchen bestehende Etwas noch im hinteren Teil der Bühne auf. Dann beginnt es, sich wabernd zu einer bedrohlich wirkenden Gestalt aufzutürmen und sich – unter anschwellenden dröhnenden Geräuschen – langsam immer weiter nach vorn zu bewegen. Dabei macht das Ungetüm vor den ersten Zuschauerreihen nicht halt: Am Anfang fallen nur einzelne Elemente ins Publikum, dann beginnt das Ding jedoch, sich über die Zuschauenden hinwegzuwälzen. Diese versuchen sich zu wehren, stehen auf, drücken es weg.

… dann auch noch Handke

Manche schmeißen sich mitten in das Ungetüm hinein und werden „verschluckt“, andere versuchen, sich gegenseitig wieder herauszuziehen. Die ganze Szenerie wirkt nun überhaupt nicht mehr bedrohlich, sondern im Gegenteil sehr vergnüglich. Ein Spiel im Kampf gegen das Ungeheuer. Am Ende verlassen die Darstellenden den Raum – der Applaus gebührt dem Ding.

Zu den Specials des Monologfestivals zählt die Performance „Vom Handaufhalten in der Dunkelzeit“. Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen und Theatermacher, sitzt an einem Tisch. Darauf: ein Haufen Zettel, ein Smartphone, zwei Flaschen Bier. Daneben: Zwei Regenschirme und eine Kamera, die den Tisch in der Seitenansicht auf eine Leinwand hinter ihm projiziert. Kamerun hält einen Monolog im klassischen Sinne: Er redet über Krisenbeschwörungen und „nützliche Katastrophen“ und fordert das Publikum ausdrücklich zum Mitmachen auf. Er stellt einen Songtext mit dem Titel „Schwuler Mercedes“ vor, in dem es um Guerilla-Marketing geht.

Ein anderer Text über „Das Volk“ endet beim testweisen Bau einer Mauer. Die Texte untermalt Kamerun jeweils mit einzelnen Tönen aus Musik­instrumenten-Apps, was nicht gut funktioniert, weil es albern wirkt und vom Text ablenkt.

Kamerun erläutert alles: Entstehungsprozess der Texte, Umstände damals im Vergleich zu heute, sein eigenes Aufgeregtsein auf der Bühne. Als er dem schon etwas angestrengt ­dreinblickenden Publikum eröffnet, der Rest der Performance werde nun mit Handke zu tun haben, rufen einige „Nein!“, und eine Zuschauerin verlässt den Raum.

Kamerun führt trotzdem weiter über Handke aus und gelangt am Ende zu folgendem Text: „Es wird bald wieder Krieg geben, dieser Frieden ist faul. Faul wie ein Lebensmittel ohne täglichen Gebrauch.“

Monologfestival Alarmstufe Rot, bis 24. November im Theaterdiscounter, Klosterstraße 44