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: Rapper Breschnew

Die Genialen Dilletanten waren in den frühen bis mittleren achtziger Jahren eine Szene der Möglichmacherinnen und Möglichmacher in Berlin – es wurde experimentiert, was das Zeug hält. Selbst Leonid Iljitsch Breschnew war vor den Avantgarde-Musikern nicht sicher, wie ein nun wiederveröffentlichtes Album zeigt. Das Künstlerkollektiv Notorische Reflexe machte 1983 aus dem kurz zuvor verstorbenen Sowjetführer einen veritablen HipHop-Künstler, als es im „Breschnew Rap“ eine Rede von ihm sampelte. Unterlegt von einem groovigen Basslauf, housigen Synthies und einem schmissigen Saxofonsolo, klingt das Stück auch heute noch erstaunlich frisch.

Das Hamburger Label Bureau B, bekannt dafür, Gutes aus dem deutschen Underground vergangener Jahrzehnte zutage zu fördern, hat das einzige volle Album von Notorische Reflexe aus dem Jahr 1985 neu aufgelegt – so darf man neben dem Breschnew-Track noch 12 weitere Stücke des Kollektivs um Filmemacher Knut Hoffmeister (wieder-) entdecken. Und eine Entdeckung dürfte die Gruppe, die neben der Musik mit Super-8-Filmen und Performances in Erscheinung trat, für Nachgeborene auf jeden Fall sein. So zeigt das selbst betitelte Album die ganze Schaffensbreite auf, für die die Berliner Avantgarde seinerzeit stand. „Das Afrikateil“ ist ein – der Titel deutet es an – von Afrobeat und -funk geprägt, „The Wisp“ dagegen ist repetitiv und krautaffiziert, während „Next Stop“ ein für diese Zeit typisches Werk der Freien Musik ist: Field Recordings vom Bahnhof treffen auf Proto-Techno und ein freejazziges Saxofon.

Die abschließende Live-Aufnahme („Hammer“) ist dann wiederum nah an den Kollegen von den Einstürzenden Neubauten – scheppernde, metallische Geräusche sind zu vernehmen, das Zeitalter der industriellen Massenproduktion wird in einen Audiotrack überführt. Und zum alten Breschnew sei noch erwähnt, dass auch das Video, von Hoffmeister selbst gedreht, sehenswert ist. Es zeigt Moskau in der Prä-Gorbatschow-Zeit, in Schwarz-Weiß, die Kalte-Kriegs-Assoziationen stellen sich augenblicklich ein, und kontrastiert werden diese Szenen mit einem Breschnew-Porträt, auf dem dieser mit roten Lippen vor sich hinrappt. So funky wie hier war die UdSSR wohl nirgends sonst. Jens Uthoff

Notorische Reflexe: „Notorische Reflexe“ (Bureau B/Indigo)