„Café ohne Konsumzwang“

Seit fünf Jahren prägt das Kulturkombinat offene Neustadt „Kukoon“ die Szene links der Weser. Camilla Kloß und Artur Ruder sprechen über Gentrifizierung und Gruppendynamik

Camilla Kloß und Artur Ruder mal vor dem Tresen Foto: Alina Götz

Interview Alina Götz

taz: Frau Kloß, Herr Ruder, sind Sie hier die Chef:innen?

Artur Ruder: Nein, auf keinen Fall.

Camilla Kloß: Ich auch nicht.

Aber Sie sind zwei von dreien, die von Beginn dabei sind. Merkt man dieses Machtgefälle nicht in der Gruppe?

Kloß: Es existiert auf jeden Fall so etwas wie eine Wissensmacht in Bezug auf unsere Geschichte. Aber wir versuchen auch so viel wie möglich transparent zu halten für alle Neuen. Und es gibt auch immer wieder neue Themen, die mit neuen Menschen auftauchen.

Was hat sich innerhalb Ihres Kollektivs seit der Gründungszeit verändert?

Ruder: Einiges – Raum, Zeit, Menschen, Mietspiegel. In der „Dete“ waren wir sechs Organisierende und die Mitarbeitenden mussten mit unseren Entscheidungen leben. Hier sind alle 17 Mitglieder des Kollektivs angehalten, zu partizipieren und Entscheidungen mitzutreffen.

Welche Konflikte musste Ihre Gruppe schon meistern?

Ruder: Es ist in großen Gruppen, die einen Schwerpunkt miteinander teilen, normal, dass man unterschiedlicher Meinung ist oder unterschiedliche Visionen hat. Wir versuchen eben nicht nur, den Betrieb aufrecht zu erhalten, sondern auch gemeinsame Werte zu finden. Da sind wir uns sehr einig. Vielleicht ist es manchmal sogar schon zu kuschelig, sodass wir Unangenehmes nicht direkt ansprechen. Dann brodelt es mal hoch, macht Bums und dann müssen wir ganz doll und ganz viel miteinander reden. Bisher hat das gut hingehauen.

Hat sich Ihre Arbeitsweise inzwischen professionalisiert?

Ruder: In der Dete haben wir uns nur die gastronomische Arbeit bezahlt, der Rest war Selbstausbeutung. Hier bezahlen wir uns alles, was wir an Leistungen erbringen. Ausnahme sind die regelmäßigen Plena. Irgendwann, wenn der Kultursenator uns unterstützen sollte, können wir das vielleicht machen. Bisher haben wir nur sporadisch Projektgelder bekommen, keine institutionelle Förderung.

Arbeiten Sie hier beide hauptberuflich?

Kloß: Ich nicht, ich bin auch als Grinberg-Praktikerin tätig.

Ruder: Ich schon.

Können Sie davon leben?

Ruder: Ja. Ich wohne in einer großen WG, fahre viel Fahrrad, teile mein Essen.

Musste Sie sich über die Jahre zwischen einem idealistischen Weltverbessern und dem Anspruch an Wirtschaftlichkeit einpendeln?

Kloß: Es gibt auf jeden Fall so eine Einpendelung. Und ich weiß auch, dass Leute aufgehört haben, weil von ihrem Idealismus etwas flöten gegangen ist. Für mich ist aber nach wie vor vielstimmig, was wir hier machen und wie wir mit Menschen und auch der Küche umgehen – undogmatisch bio, undogmatisch vegan. Und einfach einen Ort zu haben, an dem Menschen sein können, ohne konsumieren zu müssen.

Ruder: Von der Dynamik her ist es schon so, dass von den zehn Gründungsmitgliedern einige dem wirtschaftlichen Druck Tribut zollen mussten. Der Druck ist doll spürbar, auch durch die inzwischen 17 Angestellten. Wir müssen ständig Kompromisse finden. Manchen ist das schnuppe, anderen nicht – was auch legitim ist. Die ersten Jahre gab es deshalb viele Grundsatzdebatten. Ich finde es nicht selbstverständlich, dass jeder von uns in einem Zehner-Haus wohnt und zu Hause das Essen teilen kann. Trotzdem sollte es möglich sein, eine links-grün-versiffte Ideologie zu teilen.

Welche Rolle spielen Sie in der Entwicklung der Neustadt?

Ruder: Ich denke, dass wir mit dem Anspruch an hohe Diversität, unserer grünen Küche und der Platzierung vieler linker Themen Anlaufpunkt für Gruppen sind, die hier vielleicht eine kleinere Hürde sehen als anderswo. Ein kultureller Mehrwert für den Stadtteil ist, dass wir Projekte mit der Schwankhalle teilen. Die kommen mit Ideen zu uns und wir können mit unserem Filmfestival rübergehen. Die Kehrseite ist: Je mehr Kultur wir betreiben, Kunstformen freikitzeln, inspirieren und je cooler und bunter es wird, desto rasanter steigen die Mieten. Das ist extrem scheiße. Und wir sind auf jeden Fall mit dafür verantwortlich.

Sie haben sich ja vom alten Standort auch selbst weggentrifiziert, so Ihre Worte damals. Haben Sie deswegen vor zwei Jahren den Raum hier gekauft?

Ruder: Ja. Wir haben hier ja von vornherein die Kaufoption im Vertrag mit aufgenommen, weil wir aus der Dete-Erfahrung gelernt haben.

Haben Sie hier andere Fehler gemacht, die Sie bereuen?

Kloß: Die Frage finde ich immer komisch, weil Fehler ja auch Lerneffekte mit sich bringen. Wenn man es nicht so gemacht hätte, wäre an einer anderen Stelle eben ein Fehler passiert.

Ruder: Das ist eine schöne diplomatische Hippie-Aussage, super, Milla. Aber stimmt ja auch. Nur der massive Druck am Anfang war schon krass. Auf der Strecke geblieben sind dann halt ein paar Menschen, die das mit aufgebaut haben, denen wir unglaublich lange dankbar sein müssen. Den trauere ich ein bisschen nach. Ich weiß aber auch nicht, wie man das hätte anders machen können. Vielleicht hätten wir den Vertrag statt auf drei, auf fünf Jahre auslegen sollen. Und ich empfinde es als Fehler, dass wir bei der Renovierung keine Tür vom Bar­bereich zum Veranstaltungsraum gebaut haben.

Wie läuft es momentan finanziell?

Camilla Kloß, 46, arbeitet als Grinberg-Praktikerin, Artur Ruder, 34, hauptberuflich im „Kukoon“. Ruder hat vorher das Kulturzentrum „Dete“ in einem ehemaligen Möbelhaus in der Lahnstraße mit betrieben. Der Zwischennutzungsvertrag wurde dort nicht verlängert.

Kloß: Winter ist auf jeden Fall eine gute Zeit. Denn im Sommer haben wir Schließzeiten und generell weniger Besuch, da ist es schwieriger. Aber wir müssen uns momentan nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob wir den Kredit abbezahlen können. Wir planen gerade recht frei unseren Sommer mit vielen anderen Projekten, die wir draußen mit unserer Jurte bespielen wollen.

Wo sind Sie damit?

Ruder: Vielleicht wieder im Neustadtspark. Und auf dem Maritim-Festival in Vegesack, der Breminale und dem Jazzfestival in Moers.

Was sind Ihre größten Erfolge?

Kloß: Der größte Erfolg ist, dass das Konzept aufgegangen ist und wir damit weiter planen können.

Ruder: Und dass wir ein regelmäßiges gastronomisches Angebot und einen vielfältigen Kulturbetrieb mit 17 gleichberechtigten Menschen auf die Beine stellen können.

Welche Pläne haben Sie?

Kloß: Vielleicht ja doch noch eine Tür.

Ruder: Versprochen?

Kloß: Sollten wir noch mal einen Umbau machen, ja. Vielleicht können wir irgendwann auch das ganze Haus kaufen und eine Dachterrasse draufbauen.