So viel Kritik muss sein: Jan-Paul Koopmann über den Schwankhallen-Schwerpunkt „Unverschämt“
: Feminismus ist ein Tuwort

Henrike Iglesias buchstabiert mit „Oh My“ Sex und Lust von „Ah“ bis „Oh“ durch Foto: Paula Reissig

Blanker Unsinn wäre natürlich die Unterstellung, dass Scham ein speziell weibliches Problem ist. Aber das behauptet der aktuelle queer-feministische Schwerpunkt der Schwankhalle auch gar nicht. Es ist nur so, dass umgekehrt die Schämerei für allgemeine Vorstellungen von Weiblichkeit durchaus ein spezielles Problem darstellt – oder mehrere, die das Programm „Unverschämt“ in unterschiedlicher Form abhandelt.

Los ging’s mit dem Altern, dessen Spuren Franziska Mencz und Brigitte Bertele mit „R-Age“ als einer performativen Untersuchung ihrer Körper entdeckt haben. Mit Filzstiften hatten sie Falten markiert, die sonst kein Mensch gesehen hätte, und mit Hautpartien gewackelt, bei denen man erst mal darüber nachdenken musste, dass Jugendliche oder Models das so nicht können. Unterschwellig drängt die Frage, was daran so schlimm sein soll – und wie man eigentlich auf diesen so grässlich selbstverständlichen Gleichklang von Model und Jugend kommt?

Die Folgen zeigen Interviewfragmente mit Frauen aus Bremer Altenheimen, die von Einsamkeit und Suizidgedanken erzählen. Wie folgerichtig es wirkt, so etwas als Frauenproblem zu labeln, ist kein Problem der Performance, sondern beschreibt treffsicher eine Gesellschaft, für die wir uns alle – nun ja – zu schämen hätten.

Weiter geht es kommendes Wochenende mit dem Performancekollektiv Henrike Iglesias und dem nächsten Unding: dass Frauen sich ihrer Körper nämlich auch dann zu schämen haben, wenn es ihnen gerade ausgesprochen gut ergeht. „Oh My“ heißt die Produktion, die Sex und Lust von „Ah“ bis „Oh“ durchbuchstabieren will.

Oder vielleicht besser: das Thema mit all seinen Widersprüchen, Unbewusstheiten und Erwartungshaltungen in Bewegung versetzt. Auf der Bühne steht ein riesiger Kubus – eine Mischung aus Zelt und Hüpfburg –, der im Inneren als privater Rückzugsort dient und von außen Projektionsfläche für überhaupt nicht mehr private Videoaufnahmen ist: Mit Livekameras untersuchen die Performerinnen ihre Körper, die ihrer Mitspielerinnen und allerlei Sexspielzeug. Was der Aufbau abstrakt übers Verhältnis von Körper- und Ich-Grenzen vermittelt, wird sprachlich nur so rausgerotzt: Wer schiebt sich was wo rein? Wie fühlt sich das an und warum gibt es eigentlich immer so ein Theater, wenn da was blutet?

Wirklich provokativ klingt das erstaunlicherweise nur in der Nacherzählung – die Spannung liegt wohl gerade darin, dass im Grunde so lapidar ist, woraus Sprache immer gleich einen Film macht. Irgendwann kommt die Frage auf, warum fast alle den oder die Partner*in vom „ersten Mal“ erinnern, aber kaum jemand weiß, wann es zum ersten mal Pommes zu essen gab. Diese Frage ist auch deshalb so gut, weil jede denkbare Antwort gleich noch viel interessantere aufwirft.

Noch expliziter um Sex geht es Samstag nach der Performance beim „Feminist Porn Watching“. Dass und wie Pornos sexpositive, diverse und lustvolle Darstellungen von Sexualität sein können, zeigt Lexi Venus vom Team des „PorYes Awards“, mit dem eben solche Filme ausgezeichnet werden. Kommende Woche steht dann der zweite Teil der Diskussionsreihe „Let’s talk about Sex“ auf dem Programm, wo Klara Landwehr und Frauke Schußmann die Pornofrage moderiert ins Publikum zurückspielen.

Nun lässt sich fragen, warum es solche ausdrücklich feministischen Theaterprogramme und Schutzräume noch braucht, wo es doch alle angeht. Was „Unverschämt“ als praktische Antwort vorführt, ist, dass Feminismus nicht zum Genre verkommen darf, aus dem man hier oder da mal eine Inszenierung in den Spielplan schiebt und danach auch wieder was anderes macht. Vielleicht zu Datenschutz, Baumsterben oder so: „Unverschämt“ zeigt eben keine Stücke über Feminismus, sondern ist handgreifliche feministische Auseinandersetzung. Feminismus ist dabei die gesetzte Grundvoraussetzung, die leider nötig ist, um über Weiteres auch nur sinnvoll sprechen zu können. Und solange Selbstverständlichkeiten noch keine sind – bleiben sie Sache feministischer Theatermacher*innen.

Henrike Iglesias mit „Oh My“: Fr., 13. 3., 20 Uhr, und Sa., 14. 3., 19 Uhr, Schwankhalle. Zum Schwerpunkt: www.schwankhalle.de