Das braune Kapitel

EXKLUSIV Grass, Jandl, Seghers – der Luchterhand-Verlag prägte die Literatur der Bundesrepublik. taz-Recherchen belegen: Luchterhand profitierte von den Nazis

BERLIN taz | Der Luchterhand-Verlag stand im Literaturbetrieb über Jahrzehnte für Starautoren und Weltbestseller wie „Die Blechtrommel“ von Günter Grass. Dieses Renomee begründete vor allem Verleger Eduard Reifferscheid (1899 bis 1992): mit der richtigen Nase für große Literatur und große Talente. Doch wie Grass hatte auch Reifferscheid eine dunkle, bisher unbekannte Seite.

Wie eine Recherche der taz ergab, spielte Reifferscheid in der Nazizeit ein böses Spiel mit dem Berliner Druckereibesitzer Otto Heinrich Scholz. Zunächst kooperierte er mit diesem – um Scholz dann auszubooten. Dabei nutzte er die Tatsache aus, dass dessen Lebensgefährtin Meta Jüdin war.

Der schmutzige Trick Luchterhands und Reifferscheids machte den Aufstieg des Luchterhand-Verlags nach dem Krieg erst möglich. Das Ehepaar Scholz prozessierte nach 1945 von England aus rund 15 Jahre lang um eine Entschädigung oder die Rückgabe der Druckmaschinen, die ihm abgeluchst worden waren.

Luchterhand hat sich in den Jahrzehnten seit 1945 nie zu diesem braunen Kapitel seiner Firmengeschichte bekannt, geschweige denn dies aufgearbeitet. Reifferscheid verstand es vielmehr, sich als Nazigegner zu inszenieren, der von seinen Autoren geradezu gefeiert wurde. Gegen Ende seines Leben erhielt er sogar das Bundesverdienstkreuz.

Der Verleger des Münchner Luchterhand Literaturverlags, der in der Nachfolge des Luchterhand-Verlags steht, erklärte in einer ersten Reaktion auf die taz-Recherche am Mittwoch, man habe „heute zum ersten Mal“ von den Ergebnissen erfahren. Verleger Georg Reuchlein betont: „Wir legen auf jeden Fall größten Wert auf die lückenlose Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte des Luchterhand-Verlags, dies gilt insbesondere und ausdrücklich auch für die Epoche der NS-Zeit. Daher messen wir Ihren Recherchen große Bedeutung bei und sind an deren genauen Ergebnissen und Quellen sehr interessiert.“ PHILIPP GESSLER

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