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Abgesang auf eine Epoche

Höhepunkte des Kunstherbstes: Videos von Hito Steyerl, Andy Warhols Performances mit Velvet Underground und eine Schau über die Politaktivistin Angela Davis

Hito Steyerl, „This is the Future“, 2019, Videoinstallation (Single channel HD Video, Farbe, Ton), Environment, 16 Min., Courtesy the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin Foto: VG Bild-Kunst, Bonn, 2020, Film still © Hito Steyerl

Von Jana Janika Bach

Während einige im Frühjahr die Ausstellungssaison als verloren beklagten, trotz oder wegen der angelaufenen Bemühungen um digitalen Ersatz, freuten sich andere auf die zweite Jahreshälfte, angesichts aufploppender Meldungen, gekippte Veranstaltungen würden in die Zeit der Traubenlese verschoben.

Sogleich mäanderte dann auch die nicht ganz ernst gemeinte Forderung „No pressure, but you better be good“ an den lieben Herbst durch die sozialen Medien, aus der eine gewisse Hoffnung sprach.

Doch noch immer findet sich der Hinweis „postponed“ auf den Webseiten der Institutionen. Andererseits herrscht im Messekalender nach monatelangen Zwangspausen dichtes Gedränge: Allein im September finden die Positions Berlin zeitgleich mit der Berlin Art Week und dem Gallery Weekend statt. Dicht gefolgt von der MiART Mailand, der Art Basel und viennacontemporary.

Auch haben die meisten Museen wieder geöffnet. Allerdings werden einige dort geplante, Blockbuster-Ausstellungen erst 2021 reüssieren, wie die große Yayoi-Kusama-Schau im Berliner Gropius-Bau, die nun erst im März anlaufen wird. Die japanische Künstlerin gilt als Erfolgsgarantin, die Massen zieht, Warteschlangen und überquellende Museumsshops inklusive.

Auf Pferden, Pilzen oder Phalli platzierte die heute 91-jährige Kusama, die in Tokio ein eigenes Museum betreibt, ihre charakteristischen „Polka Dots“; weltberühmt sind weniger die frühen Happenings der einstigen Avantgardistin des Big Apple, sondern ihre repetitiven Muster oder funkelnden Spiegelzimmer, die sogenannten „Infinity-Räume“, ein Renner auf Instagram. Zuletzt zeigte solch einen etwa der deutsche Galerist David Zwirner in New York und brach den eigenen Besucherrekord.

Ganz regulär hingegen wird das Düsseldorfer K21 seine Überblicksschau zum Werk der 2019 als Künstlerin der Stunde gefeierten und mit dem Käthe-Kollwitz-Preis geehrten Hito Steyerl zeigen. „Steyerl is a big thing“, heißt es nicht erst seitdem; schon 2017 wurde die deutsch-japanische Videokünstlerin vom britischen Kunstmagazin ArtReview zur einflussreichsten Persönlichkeit im Kunstbetrieb gekürt.

Wer den Hype um die Arbeiten Steyerls, die auch als Theoretikern agiert und als Professorin in Berlin lehrt, verstehen will, muss sich ebendiesen zuwenden. Aktuelle Technologien, wie künstliche Intelligenz oder Überwachungshightech, schließt sie kurz mit Fragen postkolonialer Kritik; politische Machtstrukturen, die Kunst selbst, zunehmend Gegenstand von Investment und Spekulation, unterzieht sie dezidierter Analysen.

Mit Untersuchungen eher freudscher Natur wartet das Museum Ludwig in Köln auf. Das Haus wirft einen neuen Blick auf einen Altbekannten, über den man eigentlich alles zu wissen glaubte. So soll die Andy-Warhol-Retrospektive mit über 100 Werken keine reine Nabelschau der Best-ofs des Pop-Art-Stars sein, der Marilyn-Monroe-Gesichter oder Campbell-Suppendosen.Vielmehr leuchtet sie das hinter der Kunstfigur in den Schatten geratene, umfangreiche Œuvre bis in die hinterste Ecke aus. Dazu gehört auch Warhols Arbeit mit der Band The Velvet Underground – Performances, die unter dem Namen „Exploding Plastic Inevitable“ Musik mit Film- und Lichtprojektionen arrangierten. „Andy Warhol.Now“ lenkt zudem die Aufmerksamkeit auf die Homosexualität der amerikanischen Ikone und auf eine Figur – allgemein Quell allen Lebens oder Übels, nebst wuchernder Neurosen –, nämlich seine Mutter.

Im Messekalender herrscht nach monatelanger Pause dichtes Gedränge

In Großbritannien interpretierten Kritiker Warhols „15 Minuten Ruhm“ neu, kehrten das über-paraphrasierte Zitat ins Gegenteil, als die Londoner Tate, wo die Werkschau des „Factory“-Gründers – der das Neue so liebte wie keiner sonst – zuerst eröffnete, nach kürzester Laufzeit im März wieder schließen musste.

Ein anderer Grand der Pop-Art, der sein Werk einer stetigen Zellkur verschrieben hat, ist der 1930 geborene Jasper Johns. Seit 1954 bildet er bereits triviale Images, die heute so ikonischen Flaggen oder Landkarten der USA, außerdem Zielscheiben, Zahlen oder Buchstaben so unmittelbar ab, dass für einen kurzen Moment Bild und Gegenstand nicht auseinanderzudividieren sind. Dabei interessiert sich Johns, der ein guter Freund von Robert Rauschenberg war, kaum für das Sujet an sich, patriotische Aussagen sind ihm fremd, ebenso wie die Konsumkritik eines Warhols.

Hintersinnig befragt er vielmehr die Funktion der Malerei, den Wert eines Originals und dessen Übersetzung in die Kunst. Wann genau die Retrospektive mit Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen und Drucken des womöglich einflussreichsten lebenden US-Künstlers präsentiert wird, hat das New Yorker Whitney noch nicht bekannt gegeben.

Ob eine Reise über den Großen Teich angetreten werden kann, ist ohnehin fraglich, eine geistige Beschäftigung mit den dort schwelenden Brandherden ist aber auch hierzulande notwendig.

Einer „Heldin des anderen Amerikas“ widmet sich ein Ausstellungsprojekt der Dresdener Kunsthalle, das eine staatlich unterstützte Aktion („1 Million Rosen für Angela Davis“) als Ausgangspunkt nimmt und nicht brisanter sein könnte.

Mit Black Lives Matter ist der Kampf der afroamerikanischen Philosophin und Politaktivistin Angela Davis um Gerechtigkeit, den sie schon in den 1970ern führte, wieder ins Bewusstsein gerückt. Damals war sie in den USA als mutmaßliche Terroristin inhaftiert worden. In der DDR jedoch, wohin sie nach ihrer Entlassung reiste, erhielt sie eine Ehrendoktorwürde und war äußerst populär – am Flughafen empfingen sie 50.000 Menschen, in der Leipziger Innenstadt sollen es sogar 200.000 gewesen sein. Inwieweit sich die zentralen Themen von Davis in zeitgenössischen Positionen fortschreiben, untersucht die Schau des Albertinums.

Berlin Yayoi Kusama, Gropius Bau, ab März 2021, www.gropiusbau.de. Positions Berlin 10. bis 13. 9. 2020, positions.de. Berlin Art Week 11. bis 15. 9. 2020, www.berlinartweek.de. Gallery Weekend Berlin 11. bis 13. 9. 2020, www.gallery-weekend-berlin.de.

Basel Art Basel, 17. bis 19. 9. 2020, www.artbasel.com.

Düsseldorf Hito Steyerl, K21, 26. 9. 2020 bis 10. 1. 2021, www.kunstsammlung.de.

Dresden 1 Million Rosen für Angela Davis, Gruppenschau, Kunsthalle im Lipsiusbau, 10. 10. 2020 bis 24. 1. 2021, lipsiusbau.skd.museum.

Köln Warhol Now, Andy Warhol, Museum Ludwig,12.12.2020 bis 18. 4. 2021, www.museum-ludwig.de.

Mailand MIART Mailand, 10. bis 13. 9. 2020, www.miart.it.

New York Mind/Mirror, Jasper Johns, Whitney Museum, dates to be announced, whitney.org.

Paris Cindy Sherman, Fondation Louis Vuitton, 23. 9. 2020 bis 3. 1. 2021, www.fondationlouisvuitton.fr und Christo et Jeanne-Claude, Centre Pompidou, bis 19. 10. 2020, www.centrepompidou.fr.

Wien viennacontemporary 24. bis 27. 9. 2020. JJB, www.viennacontemporary.at.Wolfsburg Barbara Kasten, Kunstmuseum, bis 8. 11. 2020

Das Kunstmuseum Wolfsburg hat währenddessen seine seit März laufende Show bis November verlängert: „Works“ taucht ein in die abstrakte Fotografie der US-Amerikanerin Barbara Kasten. Poppig-Lustiges, vom Grund her ernst, wie „Barking Dog“ oder „Radiant Baby“, von Keith Haring offeriert hingegen das Museum Folkwang in Essen.

2020 ist einiges in Bewegung, das gilt auch für die Kunst und ihr Programm. An Auswahl mangelt es im Herbst nicht. Wen es ins nahe Ausland zieht, der kann zum Beispiel die einzigartige Cindy Sherman in der Pariser Fondation Louis Vuitton bestaunen. Über 500 Selfies hat das „Chamäleon unserer Zeit“ in den letzten vierzig Jahren von sich, diesen Stereotypen des Alltags und der Popkultur, gemacht, an denen sich mittlerweile Influencerinnen weltweit abarbeiten.

Oder die Hommage des Centre Pompidou an das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude und ihre Aktionen, die im öffentlichen Raum wuchtige Kraft entfalteten. Man denke nur an die safrangelben Tore im New Yorker Central Park, die schwimmenden, mit knatschgelbem Nylon überzogene Stege des Iseosees in der Lombardei.

Fest steht, eine Rückkehr zur Normalität vor Covid-19 ist weder moralisch noch wirtschaftlich vertretbar. Der Abgesang auf eine Epoche, als „postglobal“ apostrophiert, in der Kulturtouristen von Event zu Even jetteten, einen miesen ökologischen Fußabdruck hinterließen, ist längst angestimmt.