Nicht perfekt? Weg damit!

Lebensmittelverschwendung: Warum Eisberge schmelzen und 800 Millionen Menschen hungern

Im deutschen Biomüll: noch gute und vergammelnde Früchte ohne Unterschied weggeworfenNamibia,1901-2019 Foto: Weingartner/CHROMORANGE/imagound Warming-StripeQuelle: showyourstripes.info

Von Selma Lewerenz

Jährlich werden weltweit 1,3 Mil­liar­den Tonnen Nahrungsmittel weggeschmissen, etwa ein Drittel der Produktion. Diese Verschwendung stellt uns vor ein menschengemachtes Desaster mit weitreichenden sozioökologischen Folgen. Doch wie so oft sind es nicht die Verursacherländer selbst, die diese Auswirkungen am deutlichsten zu spüren bekommen.

So liegen laut der Welthungerhilfe mittlerweile zwei Drittel der Ackerflächen, die für die Ernährung deutscher Ver­brau­cher*innen benötigt werden, im Ausland. Die Produktion von Lebensmitteln, die letzten Endes im Müll landen, verschwendet dabei im großen Stil wichtige Ressourcen wie Energie, Wasser und Ackerflächen. So werden allein 30 Prozent der global verfügbaren Ackerflächen sinnlos bewirtschaftet, weil auf ihnen ungenutzte Nahrungsmittel produziert werden. Je knapper die Anbauflächen in den Produktionsländern für die Einheimischen selbst werden, desto höher werden die lokalen Lebensmittelpreise – Menschen des Globalen Südens treibt das unter anderem zunehmend in Armut und Hunger.

Zudem sind gerade diese Länder stark vom Klimawandel betroffen. Auch die Nahrungsmittelverschwendung trägt hier ihren Teil dazu bei: Rund 10 Prozent der Treibhausgase, die reiche Länder ausstoßen, haben ihren Ursprung in nicht genutzten Lebensmitteln. Dabei gehen Experten davon aus, dass zwei Drittel dieser Lebensmittel noch genießbar sind. Mit dieser Menge könnte man nach Zahlen der FAO von 2014 rund 2 Milliarden Menschen ernähren. Mit weniger Verschwendung könnten wir also eigentlich die weltweit 821 Millionen Hungernden versorgen und den Hunger aus der Welt verbannen.

Doch warum nur „eigentlich“? Wer schmeißt wo und warum essbare Lebensmittel weg? Entlang der gesamten Wertschöpfungskette gibt es zahlreiche Gründe, warum Lebensmittel entsorgt werden. Schon auf dem Acker werden Lebensmittel, deren Form oder Farbe von den strengen Anforderungen der Abnehmenden abweichen, aussortiert. Der Anspruch, überall und immer alles im Überfluss zur Verfügung zu haben, führt letztlich zu permanenter Überproduktion. Folglich füllen sich die Supermarktmülltonnen mit Broten vom Vortag oder unversehrten Produkten, die mehr oder weniger bald das Mindesthaltbarkeitsdatum erreichen. Es heißt, perfekt zu sein, um in diesem so unperfekten Lebensmittelsystem nicht vorschnell aussortiert zu werden.

30 Prozent der global verfügbaren Ackerflächen werden sinnlos bewirtschaftet

Um globale Herausforderungen von Hungersnot bis Klimakrise bekämpfen zu können, benötigen wir dringend ein komplettes Umdenken entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette.

Wir alle sind dabei gefragt. Die strengen Handelsnormen müssen weg von der Handelsqualität hin zu einer Ernährungsqualität. In der Politik müssen endlich rechtliche Maßnahmen gegen die Verschwendung eingeleitet werden. Wie in Frankreich sollten Supermärkte hierzulande übrig Gebliebenes spenden müssen und Lebensmittelverschwendung geldstraflich geahndet werden. Und auch wir Ver­braucher*innen sollten unsere bisherigen Ansprüche überdenken und überlegen, wo wir in unseren eigenen Küchen Lebensmittelwegwurf vermeiden können.