Antikoloniale Zombiekiller

Wasiu Oyegokes Kunst-Projekt „Tansania Zombie Park“ will im umstrittenen „Tansania-Park“ in Hamburg die Geister der kolonialen Vergangenheit vertreiben. Nun steht das von der Kulturbehörde unterstützte Projekt vor dem Aus: Der Künstler soll abgeschoben werden

Die Folgen des Kolonialismus spürt er auch am eigenen Leib: Wasiu Oyegoke Foto: Wasiu Oyegoke

Von Robert Matthies

Staubige Zombies wanken in zerschlissenen Uniformen der kolonialen Schutztruppen durchs Gestrüpp, angeführt vom brutalen General Lothar von Trotha, dessen „Vernichtungsbefehl“ 1904 den Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia einleitete – mitten im Hamburger Stadtteil Jenfeld! Und auch Hermann von Wissmann, Befehlshaber der ersten deutschen Kolonialtruppe, dazu noch Paul von Lettow-Vorbeck, Kommandeur der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, sollen dort als Untote herumspuken – genährt von den negativen Energien des Alltagsrassismus, der kolonialen Amnesie und Ignoranz in der Stadt.

Von diesem Spuk jedenfalls will der Künstler Wasiu Oyegoke alias DJ Waxs gehört haben. Er macht sich auf in den sogenannten „Tansania-Park“, kann dort das nächtliche Treiben tatsächlich dokumentieren und postet Videos davon in sozialen Netzwerken. Dann geht alles ganz schnell: Künstler:innen aus Tansania, Ruanda, Kamerun und Namibia – allesamt Staaten auf Gebieten, die mal deutsche Kolonien waren – melden sich bei dem Nigerianer.

Gemeinsam beschließen sie, eine panafrikanische Ghostbusters-Allianz zu gründen und sich in Hamburg zu treffen, um dem kolonialen Spuk endgültig den Garaus zu machen, mit der spirituellen Hilfe ihrer Vorfahren und „spekulativen“ antirassistischen Hightech-Waffen, die die US-amerikanische Biologin und transdisziplinäre Künstlerin Ashley Baccus-Clark eigens für diesen Zweck entwickelt. Lokale Migrant:innen schließen sich an und zu Halloween kommt es zum Showdown zwischen untoten Kolonisierern und den quicklebendigen Nachfahren der Kolonisierten – und allen, die in ihrem Hamburger Alltag mit Rassismus und anderen Geistern des Kolonialismus zu kämpfen haben.

So hatten Oyegoke und sein Team das „Hor­ror-Trash-Em­­powertain­ment-Pro­jekt“ „Tansania Zombie Park. An anticolonial Fantasy“ jedenfalls konzipiert. Stattfinden sollte es dieses Jahr, aber Corona hat auch der Ghostbusters-Truppe einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Oyegoke lebt seit 2017 in Hamburg, ist Mitglied des Projekts Migrantpolitan von Kampnagel, hat dort unter anderem an der Web-Soap-Opera „Ramadram“ mitgewirkt und ist Teil des kuratorischen Teams der „Queer-B-Cademy“. Ein Künstler, der auch Aktivist ist und Netzwerker: Er ist Mitgründer der Queer People of Color Group Hamburg und machte sich auch als Organisator und DJ der queeren Club-Reihe „Afro Pride“ im Rahmen des neuen „Intro“-Projekts der Hamburger Kulturbehörde einen Namen. „Intro“ bringt Kulturinstitutionen mit Künstler:innen mit Fluchthintergrund zusammen und unterstützt sie dabei, mit den Einrichtungen eigene Projekte zu verwirklichen.

„In der Hamburger Kulturlandschaft ist Wasiu Oyegoke eine unglaubliche Bereicherung“, sagt Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard, „weil er mit seiner künstlerischen und aktivistischen Arbeit Perspektiven einbringt, die in der Auseinandersetzung mit Postkolonialismus, mit intersektionalen Fragen um Flucht und Migration, aber auch in queeren Diskursen noch viel zu oft fehlen und dafür starke ästhetische Zugänge findet.“

Kolonialer Spuk

Nun ist Oyegoke selbst „Intro“-Stipendiat und sein in diesem Rahmen entwickeltes Zombie-Fantasie-Konzept fand die Behörde auch besonders interessant: Als eines von elf Projekten wird „Tansania Zombie Park“ dieses Jahr aus dem Elbkulturfonds gefördert, rund 54.000 Euro bekommt das interdisziplinäre Team dafür. „Die Projekte setzen sich mit einem weiten Spektrum gesellschaftlich und politisch aktuell relevanter Themen wie Dekolonisierung auseinander“, betont die Behörde.

Dass es im Jenfelder „Tansania-Park“ spuken könnte, kann man sich gut vorstellen, wenn man vor dem verschlossenen Tor steht. Der überwucherte Park auf dem ehemaligen Gelände der nach dem Kolonialgeneral benannten Lettow-Vorbeck-Kaserne ist nicht öffentlich zugänglich, den Schlüssel verwahrt der Verein Kulturkreis Jenfeld. Eröffnet wurde der Park, in dem sich viele Militär- und Kolonialsymbole befinden, bis heute nicht: ein untoter Ort Hamburger Erinnerungskultur. Wie die Stadtgesellschaft mit dessen kolonialen Geistern umgehen will, darüber wird seit bald 20 Jahren gestritten.

Streit über Denkmäler

2002 hatte der Kulturkreis Jenfeld ein kolonialrevisionistisches Denkmal aus der NS-Zeit restaurieren und dort aufstellen lassen: das zweiteilige „Deutsch-Ostafrika-Krie­gerdenkmal“ des Bildhauers und Lettow-Vorbeck-Adjutanten Wal­ther von Ruckteschell. 1938 war das Denkmal, das links und rechts des Kaserneneingangs stand, eingeweiht worden. Die beiden sogenannten Askari-Reliefs stellen fünf afrikanische Askari-Soldaten und vier Träger im Dienst der Kolonialtruppen dar, geführt jeweils von einem deutschen Unteroffizier.

Einen „Beitrag zur Völkerverständigung“ solle sein „Tansania-Park“ leisten, so der Kulturkreis Jenfeld damals. Aber Kritiker:innen warfen dem Verein vor, den Namen des heutigen, unabhängigen Tansania in unzulässiger Weise mit kolonialverherrlichenden Zeichen in einen Zusammenhang zu bringen. Die Denkmäler dort unkommentiert aufzustellen, setze die revisionistische Heldenverehrung fort, Nazi-Hinterlassenschaften unkritisch zu präsentieren, verharmlose die deutschen Verbrechen.

Ein deutscher Unteroffizier und Träger der Askari marschieren in trauter Eintracht: So verklärt eines der Askari-Reliefs im „Tansania-Park“ in Hamburg die koloniale Gewalt Foto: Ulrich Perrey/dpa

2003 sollte der Park unter Teilnahme eines Regierungsmitglieds aus Tansania eröffnet werden. Doch auch Tansanias damaliger Staatspräsident Sumaye zog seine Unterstützung schließlich zurück. Seit 2005 entwickelte ein Beirat des Bezirks Wandsbek ein neues Konzept für den Park, 2014 beschloss der Hamburger Senat dann ein Programm zur „Aufarbeitung des kolonialen Erbes“, mit dem das Gelände unter dem Titel „Geschichtsgarten Deutschland-Tansania“ als Gedenkort eingerichtet werden soll. Bis es so weit ist, werden die kolonialen Zombies dort weiter herumspuken.

Kommendes Jahr könnte Oyegokes Fantasie nun Wirklichkeit werden. Doch das Projekt könnte auch endgültig scheitern. Denn auch Oyegoke selbst hat ganz persönlich mit Geistern der Vergangenheit zu kämpfen und findet keine ruhige Minute, um an seinen Projekten zu arbeiten. Seit Dezember vergangenen Jahres wird ihm die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Weil er in einem ersten Asylverfahren in Frankreich aus Scham nicht über seine sexuelle Orientierung gesprochen hatte, bezweifeln deutsche Behörden und Gerichte nun seine offen gelebte und auch durch seine künstlerische und aktivistische Arbeit sichtbare Bisexualität. Seine letzte Hoffnung ist nun ein Antrag bei der Härtefallkommission.

Kolonialer Spuk II

Oyegoke fürchtet, dass ihm in Nigeria gerade wegen seiner auch im Internet durch seine Projekte gut dokumentierten und somit auch in Nigeria sichtbaren sexuellen Orientierung dort Gefahren drohen und er sein Leben nicht frei gestalten kann. In Hamburg wiederum sei er aufgeblüht, sagt Nadine Jessen, die Oyegoke auf Kampnagel als Dramaturgin betreut. „Wasius Outing ist prozessual und analog zu seiner künstlerischen Entwicklung, durch das vertrauensvolle Umfeld konnte er in Hamburg sein kreatives Potenzial entfalten.“ Jessen betont, wie wichtig das für die Vielfältigkeit der Hamburgischen Kunstlandschaft sei. „Postkoloniale Realitäten werden von einigen Künstler:innen bearbeitet, aber Wasius antikoloniale Fantasien sind bisher einzigartig“, schwärmt sie.

Oyegoke möchte in der Stadt bleiben, in der er sich trotz aller Widrigkeiten als queerer Künstler entfalten kann. In Hamburg hat er noch viel vor, will sich mit der Stadt auseinandersetzen, in der er sich nun zu Hause fühlt. „Ich möchte über die Ungerechtigkeiten sprechen, die ich gesehen und erlebt habe“, sagt er. „Es ist so wichtig, die gelebten Erfahrungen von marginalisierten Gemeinschaften sichtbar zu machen und Räume zu schaffen, in denen unsere Geschichten gehört werden können.“