Her mit den Einsen und Nullen

Was wurden wir Menschen mit einem Faible für Digitales früher oft belächelt. Seit Corona sind solche Technologien allgegenwärtig

Die Angst vor der Erkenntnis, dass digitale Technologien zu unserem Alltag gehören und uns schaden, ist besiegt

Von Tanja Tricarico

Diese Digitalisierung, über die seit vielen Monaten alle reden, sie ist ein kluges Ding. Nicht eingeschlichen hat sie sich, sondern ganz oben auf die Agenda katapultiert. Was für eine Freude. Seit dem Frühjahr taucht die Gute in allen Debatten auf. Ja, Corona ist schuld und auch wieder nicht. Ja, weil digitale Technologien unser Anker sind in Zeiten, in denen analoges Zusammentreffen dich und mich gefährdet. Und nein, weil sie zum 21. Jahrhundert schlichtweg gehört.

So weit, so simpel; und doch wieder nicht. ­DSGVO – häh? Uploadfilter – what? E-Government – Nischenthema. Was mussten sich Be­richt­erstatter:innen, Menschen mit Faible für Digitales alles anhören, wurden belächelt, als vermeintliche Nerds abgetan. Und das im 21. Jahrhundert. WTF? Ach herrje, kann ich da – euphemistisch gesprochen – nur sagen. Denn all diese Themen spuken seit Jahren im politischen wie gesellschaftlichen Raum herum. Nur eben unter dem Radar.

Aber seit wenigen Monaten wird plötzlich über dezentrale Speicherung von Daten ge­sprochen, über Open-Source-Formate, über Videocalls, ­digitale Teilhabe, über Datenspenden. Da muss also erst eine Pandemie kommen, damit es solche Themen in die „Tagesschau“ schaffen.

Rund 20 Millionen Menschen in Deutschland nutzen derzeit die Corona-Warn-App. Das ist deutlich mehr als in so manch anderem EU-Staat. In Rekordgeschwindigkeit wurde sie mit Bundeshilfen und internationaler Expertise erschaffen. Klar, es ruckelt an der einen oder anderen Stelle. Ein paar schöne Features wie Pushnachrichten für das Kontakttagebuch wären schön. Aber lassen wir das.

Und ja, Schulen, Universitäten und etliche Unternehmen scheint die krasse Entwicklung, getrieben vom Virus, überrascht zu haben. Sie kommen nicht hinterher, die neuen Anforderungen der Anwendungen zu erfüllen. Kein Wunder. Jahrelang standen digitale Technologien nicht zwingend als Topthema auf der Agenda, mangels Kompetenz, mangels Geld und Antrieb. Nun sollen Home­office und Home­schooling für alle Lebensentwürfe funktionieren. Umgehend und sofort. Dass das nicht klappt und Chef:innen, Arbeitnehmer:innen, Leh­re­r:innen, Erzieher:innen und Eltern verzweifeln, überrascht nicht.

Aber in den allermeisten Fällen ist es wohl eine Frage der Zeit und des finanziellen wie politischen Willens, bis diese Lücken gestopft sind. Nun heißt es Geduld haben. Was in Pandemiezeiten mit zu den schwersten Übungen gehört.

Was mich beruhigt: Die Angst vor der Erkenntnis, dass digitale Technologien zu unserem Alltag gehören und uns schaden, ist besiegt. Und die Sorge vor dem ach so bösen Datenschutz. Ab und an flackert die kühne Äußerung auf, der Schutz unserer privaten, digital zu verfolgenden Informationen würde ein rascheres Eindämmen des Virus verhindern. Aber solche Aussagen tauchen eben nur ab und an auf. Der sorgsame, behutsame Datenaustausch, die Kooperation von Wissenschaftler:innen, von IT-Expert:innen über nationale Grenzen hinweg, die freiwillige Nutzung, etliche gute und einfache Erklärungen haben gezeigt: Es geht auch mit.

Der berühmte Wermutstropfen hängt natürlich auch am Digi-Thema: Eine App, Software, Einblicke in persönliche Begegnungen, Bewegungsprofile und Mobilitätsmuster allein können uns nicht aus der Pandemie raushelfen.

Die Technik macht’s nicht von selbst, da gehört schon ganz analog menschlicher Einsatz dazu. Meine Hoffnung ist, dass die Debatte bleibt, dass vor allem digitale Teilhabe die Pandemie überdauert. Digitalisierung klingt zwar gut. Aber sie bleibt die berühmte Worthülse, wenn keiner versteht, wie sie funktioniert.