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„Das verstößt gegen die Pressefreiheit“

Die taz-Redakteurin Katharina Schipkowski klagt gegen die neuen Hamburger Polizei- und Verfassungsschutzgesetze. Denn die griffen in das Privatleben der Bür­ge­r*in­nen ein und bedrohten den journalistischen Quellenschutz

Die Hamburger taz-Redakteurin Katharina Schipkowski fordert mehr Kontrolle über den Verfassungsschutz – deshalb zieht sie jetzt vor Gericht Foto: Miguel Ferraz

Interview Marie Gogoll

taz: Frau Schipkowski, immer wieder werden in Deutschland Anschläge, gerade auch von Rechtsradikalen, verübt. Ist es da nicht gut, dass Verfassungsschutz und Polizei in Hamburg mehr Befugnisse zur Überwachung bekommen haben?

Katharina Schipkowski: Bei der Aufklärung und Verfolgung von rechten Anschlägen haben die Sicherheitsbehörden meistens versagt, weil sie schlecht kommuniziert haben. Oft hatten zu viele Behörden einen Akteur schon im Visier und haben dann unorganisiert und chaotisch gehandelt. Das ­Problem war also weniger, dass die Behörden zu wenig Überwachungsbefugnisse hätten. Ich glaube, sie haben eher zu viel davon und sind gleichzeitig selber unkontrolliert.

Deswegen klagen Sie gegen Änderungen im Hamburger Verfassungsschutzgesetz?


Genau. Das mache ich zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und anderen Einzelpersonen. Die Klage richtet sich aber nicht nur gegen das Verfassungsschutzgesetz. Auch das Polizeigesetz wurde im Dezember 2019 novelliert und enthält Teile, die wir für verfassungswidrig halten. Deswegen haben wir gegen beide Gesetze Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Was ist in Ihren Augen daran verfassungswidrig?

Bei dem Polizeigesetz geht es um automatisierte Datenauslese. Durch das Gesetz darf die Polizei alle Daten, die sie gespeichert hat, automatisch mit Hilfe einer Software abgleichen.

Klingt doch ziemlich praktisch.

Ist es aber nicht. Es reicht theoretisch schon, Zeugin eines Verkehrsunfalls zu sein, um in die Datenbank der Polizei aufgenommen zu werden. Die Software der Polizei gleicht die Daten dann automatisch mit allen anderen ab. Auch Daten aus dem Netz, etwa von Social Media, könnten einfließen. Das öffnet Tür und Tor für Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile.

Was verspricht die Polizei sich davon?



Bei der Polizei gibt es bundesweit einen bedenklichen Trend, die Verfolgung von Straftaten immer weiter ins Vorfeld zu verlegen. Das nennt sich Predictive Policing und funktioniert durch Überwachung. Entscheidungen beruhen dabei auf der Einschätzung der Polizei, die irgendeine Gefahrenlage wittert. Die Kriterien dafür sind für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Mit ihrer Wahrsagerei greift die Polizei aber in das Privatleben und die informationelle Selbstbestimmung vieler Bür­ge­r*in­nen ein.

Geht es bei Ihrer Klage auch um Selbstbestimmung?



In gewisser Weise ja. Dabei geht es um Quellen-Telekommunikationsüberwachung, kurz Quellen-TKÜ. Durch diese Befugnis kann der Verfassungsschutz mit einem Trojaner Informationen direkt von Endgeräten auslesen. Da bringen auch verschlüsselte Chats nichts.

Wie ist das technisch möglich?



Um einen Trojaner einzusetzen, müssen die Behörden Sicherheitslücken in der Software des Geräts nutzen.

Melden sie diese Lücken an die Software-Entwickler, damit sie die beheben können?

Das sollte man von Sicherheitsbehörden zwar denken, wir gehen aber nicht davon aus, dass sie das tun. Dann könnten sie die Lücken ja selbst nicht mehr nutzen. Die Sicherheitslücken nicht zu melden, ist aber gefährlich, weil auch Hacker sie dann nutzen können. Die könnten dann zum Beispiel Daten auslesen und verkaufen oder Festplatten sperren und Lösegeld verlangen.

Die Polizei darf Quellen-TKÜ in bestimmten Fällen doch sowieso schon anwenden. Warum ist das in Ihren Augen beim Verfassungsschutz noch kritischer zu sehen?

Polizei und Verfassungsschutz sind in Deutschland aufgrund schlimmer Erfahrungen in Nationalsozialismus streng getrennt. Die Polizei unterliegt viel stärkeren Kontrollen als der Verfassungsschutz. Es ist wichtig, dass die Polizei parlamentarisch und auch von uns als Öffentlichkeit kontrolliert wird. Sie ist nämlich eine Behörde mit weitreichenden Befugnissen. Der Verfassungsschutz operiert viel mehr im Geheimen. Und je mehr eine Behörde das tut, desto mehr entzieht sie sich auch zivilgesellschaftlicher Kontrolle. Ohne eine effektive Kontrolle sollte der Verfassungsschutz aber nicht so tief in unsere Grundrechte eingreifen dürfen wie mit der Quellen-TKÜ.

Wen trifft diese neue Befugnis des Verfassungsschutzes besonders?

Ich klage als Journalistin, weil durch diese Überwachung der Quellenschutz sehr erschwert wird. Wenn sich In­for­man­t*in­nen nicht sicher sein können, dass unsere Kommunikation nicht mitgelesen wird, ist es für sie eine Gefahr, mit mir zu kommunizieren. Das verstößt gegen die Pressefreiheit. Ansonsten betrifft das auch den Kontakt von An­wäl­t*in­nen mit Kli­en­t*in­nen und natürlich politische Aktivist*innen, die vom Verfassungsschutz überwacht werden.

Auch auf Bundesebene sollen die Befugnisse für den Verfassungsschutz erweitert werden. Hängt Ihre Klage damit zusammen?



Auf Bundesebene sind die gleichen Änderungen wie in Hamburg geplant. Wenn das Hamburger Gericht unserer Klage stattgibt, könnte man mit denselben Argumenten auch die Bundesgesetzgebung kippen. Deshalb führen wir hier quasi einen Musterprozess.