Ost und West sollen zusammenwachsen

In Libyen soll Abdul Hamid Dbeibah als Übergangspremier das Land vereinen. Die verfeindeten Lager haben angekündigt, ihn zu unterstützen

Wird ihre Zukunft friedlicher? Kinder am Freitag auf dem Märtyrerplatz in Tripolis Foto: Hazem Ahmed/reuters

Von Mirco Keilberth , Tunis

Nach der Wahl eines Übergangsregierungschefs für Libyen haben die beiden bislang rivalisierenden Führungen des Landes angekündigt, ihre Amtsgeschäfte zu übergeben. Der Chef der international anerkannten Regierung im westlibyschen Tripolis, Fajes al-Sarradsch wünschte der Übergangsregierung „Erfolg bei ihrer Mission“. Der nicht anerkannte Regierungschef in Ostlibyen, Abdullah Thinni, knüpfte die Übergabe der ostlibyschen Parallelinstitutionen an die neue Regierung an die Zustimmung des Parlaments. Der neue Regierungschef, der aus der westlibyschen Hafenstadt Misrata stammende Abdul Hamid Dbeibah, hat nun drei Wochen Zeit, um seine Ministerriege den im ostlibyschen Tobruk tagenden Abgeordneten vorzustellen. Nach weiteren drei Wochen muss dann das zerstrittene Parlament Farbe bekennen.

Auch Ägypten und die Türkei äußerten ihre Zufriedenheit über das mögliche Ende der Ost-West-Spaltung des Landes. Während Ankara mit Sarradsch alliiert ist, beliefert Kairo den ostlibyschen Feldmarschall Chalifa Haftar mit Waffen. Dbeibah zeigte am Wochenende in einem ersten Interview mit der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu, welches der beiden Lager ihm näher steht: „Die Türkei ist der Alliierte, Freund und Partner der Libyer“, so der schwerreiche Geschäftsmann.

Dbaibah war am Freitag auf einem von der UNO organisierten „Dialogforum“ in der Schweiz von mehreren Dutzend Delegierten zum Übergangsregierungschef gewählt worden. Die 75 Delegierten wählten zudem einen dreiköpfigen Präsidialrat, der die drei Regionen Libyens repräsentieren soll. Vorsitzender des Rates und damit auch Befehlshaber der Armee wird der aus dem ostlibyschen Tobruk stammende Mohammed Menfi, Libyens ehemaliger Botschafter in Griechenland.

Die in Genf gewählten Funktionsträger sollen nur bis Ende des Jahres im Amt bleiben. Für den 24. Dezember ist eine Parlamentswahl geplant. Die neue Volksvertretung soll dann eine reguläre Regierung bestimmen – vorausgesetzt, dass bis dahin die in Ost und West gespaltenen Institutionen wieder vereint sind und ein Referendum über eine neue Verfassung stattgefunden hat. Ohne die Auflösung der vor allem in der Hauptstadt Tripolis tonangebenden Milizen und den Abzug von Tausenden ausländischen Söldnern wird eine landesweite Neuwahl aber schwer umzusetzen sein.

Es ist dem Engagement der Leiterin der UN-Libyenmission (Unsmil), Stephanie Williams, zu verdanken, dass der Krieg genau ein Jahr nach der Berliner Libyenkonferenz nun wohl beendet ist. Der UN-Sicherheitsrat hatte vergangene Woche entschieden, nach dem Genfer Treffen eine unbewaffnete Beobachtermission an die ehemalige Front bei Sirte zu schicken, um den beschlossenen Abzug der Milizen beider Seiten zu verifizieren.

Der Familienname des neuen Regierungschefs tauchte in den vergangenen Jahren immer wieder bei Korruptionsermittlungen auf

Seit April 2019 hatte Haftar versucht, Tripolis mit Hilfe von sudanesischen und russischen Söldnern einzunehmen. Doch dank militärischer Unterstützung der Türkei und eingeflogenen syrischen Söldnern konnte der jetzt abgewählte Sarradsch den Angriff abwehren.

Die Wahl von Dbaibah ist für viele Libyer eine Überraschung. Denn der wie Dbaibah aus Misrata stammende derzeitige Innenminister Fathi Baschaga schien bereits sicherer Sieger zu sein. Er hatte in den letzten Monaten das Milizenkartell von Tripolis geschwächt. Auf seiner Wahlliste standen mit Abdul Seif al-Nasr, Osama Dschuweili und Aguila Saleh drei politische Schwergewichte, die Haftar und den in Westlibyen wichtigen Milizen aus Zintan nahe stehen. Die von Baschaga angeführte Liste wurde von einigen libyschen Medien als „Dinosauriergruppe“ bezeichnet – als Politiker der Vergangenheit.

Der Familienname des neuen Regierungschefs tauchte in den vergangenen Jahren bei Korruptionsermittlungen auf. Die Dbaibahs wurden unter Exdiktator Muammar Gaddafi reich. Der Bruder des Premiers, Multimillionär Ali Dabaiba, steht bei Interpol zur Fahndung wegen Geldwäsche aus. Mehrere Teilnehmer eines ebenfalls von den UN organisierten Dialogforums im Dezember klagten, dass Ali Dabaiba ihnen 200.000 US-Dollar geboten hätte, sollten sie für seinen Bruder werben. UN-Ermittlungen zu den Vorwürfen blieben ergebnislos. meinung + diskussion