Alles andere als technikfeindlich

FOTOGRAFIE Das Paula-Modersohn-Becker-Museum zeigt aufschlussreiche „Worpsweder Lichtbilder“, die zum Teil noch vor Kurzem auf Dachböden verstaubten

VON HENNING BLEYL

Birken, Katen und Kanäle – wer meint, „Worpsweder Lichtbilder“ seien unweigerlich geprägt von der Omnipräsenz des Moor-Settings, hat völlig recht. Dass damit keineswegs Eintönigkeit einhergeht, zeigt die gleichnamige Ausstellung im Paula-Modersohn-Becker-Museum, die am heutigen Samstag eröffnet wird.

Analog zu ihrer ideologisch aufgeladenen Begeisterung für die Plein-air-Malerei lehnten die Worpsweder die steife Atelier-Fotografie ab. Besonders en vogue war das Genre „Selbstbildnis mit Gänseblümchen“, das die jungen Worpsweder Maler genüsslich auf die Spitze trieben. Anlässlich eines Besuchs des „Marschendichters“ Hermann Allmers gruppierten sie sich hinter den breiten Schultern des verehrten Poeten (der seinerseits einen Fingerhut in den Händen hält) zum Gänsemarsch – ein anrührendes Zeugnis einer sehr vergänglichen Einigkeit der Gründer der Künstlerkolonie.

Angerührt wird ebenfalls sein, wer das dramatisch aufgeladene Schicksal Heinrich Voglers im Kopf hat und ihn nun – auf einer Aufnahme von 1894 – als 22-Jährigen sieht: das Alter, in dem der behütete Bremer Kaufmannssohn erstmals nach Worpswede kam. Es ist das Gesicht eines Jungen, nicht eines jungen Mannes.

Hugo Erfurths Besuch 1907 in der Künstlerkolonie, bei dem auch die berühmten Kindbett-Bilder von Paula Modersohn-Becker entstanden, ist hingegen als Ausdruck der überregionalen Anerkennung zu lesen, den die Künstlerkolonie mittlerweile errungen hatte. Erfurth war der Porträtist der Künstler und Aristokraten – was Mutter Becker, also Paulas Mutter, nicht von der saloppen Bemerkung abhielt: „Erfurth ist nach Worpswede gekommen, um ein wenig an Otto herumzufotografieren.“

Die Fotografien stammen aus einem relativ schmalen Zeitkorridor – von Mitte der 1890er-Jahre bis 1914. Umso bemerkenswerter ist die technische Vielfalt der Methoden, die hier en passant zu bestaunen ist. Der seinerzeit tobende Streit zwischen der scharfkonturierenden Straight Photography mit den Vertretern der Pictorial Photography, die die „malerischen“ Unschärfen suchten, wurde in Worpswede selbstverständlich zugunsten letzterer entschieden. Insbesondere den Gebrüdern Hofmeister gelangen mit ihrem speziellen Verfahren, Gummicum arabicum mit Sonnenstrahlen zu belichten, bemerkenswert „gemäldehafte“ Effekte. Davon zeugt stellvertretend ein großformatiges Mackensen-Porträt.

Auch die konkurrierende Ferrotypie, ein fotografisches Schnellverfahren, das Metallplatten einsetzte und damit die Voraussetzungen für die Automatenaufnahmen schuf, hat in Worpswede Spuren hinterlassen: Die Maler der ersten Generation posierten dafür gemeinsam hinter einer Holzleiter.

Rudolph Stickelmann wiederum experimentierte mit silberbeschichtetem holländischen Büttenpapier, das er nach der Aufnahme einen Tag lang in der Sonne trocknen ließ. Das Ergebnis sind herrlich grobkörnige Bilder, die an Druckgrafiken erinnern. „Schatten auf der Dorfstraße“ ist so ein Werk, das die künstlerisch weitreichenden Möglichkeiten des jungen Mediums vor Augen führte.

Skepsis gab es unter den Worpsweder Malern offenbar nicht: Die Fotografie wurde keineswegs als Teufelszeug abgetan, das mit der Malerei in Konkurrenz treten könne – sondern als praktischer Skizzenersatz und zunehmend auch eigenständige Kunstform, die zu Selbst-Inszenierungen einlud. Paula Modersohn-Becker bereitete einige ihrer Selbstakte fotografisch vor, während Gatte Otto auf Amrum eher unglücklich mit mehrfachbelichteten Aufnahmen herumhantierte.

Die Arbeit der Kuratorin Simone Ewald, die klug Fotografien mit auf ihnen basierenden Bildern kombiniert, profitierte auch von Zufällen. Bei einem Berliner Privatsammler fand sie einen Kontaktabzug der tanzenden Vogeler-Kinder, die unschwer als Vorlage späterer Vogeler-Werke zu erkennen sind.

Auch die Bremer Bauteilbörse leistete ihren Beitrag: In einem eigentlich schon ausgeräumten Lilienthaler Abbruchhaus aus den 30er-Jahren demontierte sie zu verwertende Bauteile – und fand dick verstaubte Pappkartons, auf denen „Hans am Ende“ stand. „Im Garten wartet schon der Abrissbagger“, berichtet Andrea Weiss von der Bauteilbörse, als sie in einer Abseite des Dachbodens auf die Fotografien gestoßen sei. Auch sie hängen jetzt im Paula-Modersohn-Becker Museum: neben einem Ölbild Hans von Endes, dessen Motivgleiche kein Zufall sein kann. Diese intensive Nutzung damals modernster technischer Möglichkeiten durch die „Mal-Aussteiger“ war bislang wenig bekannt.

Bis 28. Oktober. Eröffnung: Samstag, 15 Uhr