Leben bis zur Wurst

Niedersachsen initiiert eine Bundesratsinitiative für mehr Tierwohl. Ob ihr in Berlin allerdings Regierungstaten folgen, ist ungewiss. Geboren wurde sie bei Osnabrück

Manchmal eben auch Handarbeit: schärfere Kontrollen in der Nutztierhaltung Foto: David Young/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Wenn es um wohlklingende Appelle geht, ist Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) Expertin. Vor allem in Sachen Tierwohl macht sich das gut. Am Ende bleibt zwar oft alles beim Alten, wie jüngst beim Scheitern ihres Vorstoßes für ein staatliches Tierwohl-Label, aber irgendwie muss man sein Image ja polieren.

In Niedersachsen, dem Zentrum der deutschen Massentierhaltung, ist der Transformationsprozess hin zu mehr Tierwohl und Tierschutz besonders schwierig. „Der Standard ist Tierquälerei“, sagt das Deutsche Tierschutzbüro über Niedersachsens Schweinemastanlagen, in denen es derzeit Verstoß auf Verstoß aufdeckt (taz berichtete). Gegenüber Otte-Kinasts Engagement ist Jan Peifer, der Vorstandsvorsitzende des Vereins, generell skeptisch: „Sie handelt oft im Sinne der Landwirte.“

Vorgestern trat Otte-Kinast erneut mit einem Appell vor die Öffentlichkeit, an der Seite von Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). Es ging um tierfreundlichere Ställe. Anlass war die Entgegennahme eines Positionspapiers des „Strategierats Bioökonomie Weser-Ems“ zu „nötigen rechtlichen Anpassungen für mehr Tierwohl“.

„Die Landwirte wollen mehr Tierschutz“, behauptet die Ministerin. Leider gebe es allerdings Hürden im Bau- und Immissionsschutzrecht. Die Folge: hakelige Genehmigungsverfahren, Zusatzkosten, Rechtsunsicherheit. „Für die Zukunft der Tierhaltung in Niedersachsen ist es von existenzieller Bedeutung, dass der Bund das Fachrecht anpasst und diese Umbauten ermöglicht.“

Auch das Positionspapier des Strategierats singt ein Loblied auf die Transformationsbereitschaft der Landwirte. Erforderlich sei indes eine Änderung des Baugesetzbuches, „um bei Beibehaltung der bisherigen Tierzahl Maßnahmen zu realisieren, die dem Tierwohl dienen“. Zudem geht es um Emissionen: In den Niederlanden und Dänemark gebe es zahlreiche Systeme zur Emissionsminderung ohne Abluftreinigungstechnik. „Diese müssen nach aktueller Rechtslage im Bundesgebiet erneut verifiziert und zertifiziert werden, um behördlich anerkannt werden zu können. Hier wäre es wünschenswert, ein einheitliches Verfahren zur Anerkennung von Technik zu schaffen.“ Zudem fehle eine Definition, was „Tierwohl“ eigentlich bedeute.

Die Osnabrücker Landrätin Anna Kebschull (Grüne), Vorsitzende des Strategierats und vorgestern an Otte-Kinasts Seite: „Im Moment erleben wir einen fatalen Stillstand. Das birgt die Gefahr, dass transformationswillige Familienbetriebe aufgeben und große Agrarkonzerne die Flächen pachten, große Investoren.“ Lange seien die Landwirte völlig falsch beraten worden: „Da zeigt sich die Macht der Lobbyisten. Die haben immer gesagt: wachsen oder weichen! Das war Gehirnwäsche, total einseitig. Da ist eine unendliche Stressschraube gedreht worden, und die Folgen sehen wir heute.“ Und die Verhältnisse haben sich geändert: „Damals wollte die Gesellschaft Billigfleisch, Tierhaltung egal. Heute sehen wir das als einen Missstand. Aber der Umbau ist schwer. Und er stockt, auch rechtlich. Das wollen wir ändern.“

Den Emissionsschutz aufweichen will Kebschull nicht. „Das gehört nicht zu den Dingen, die meine grüne Seele richtig findet.“ Sie steht für die Reduzierung des Tierbestands und des Einsatzes von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, für bessere Bodengesundheit. Aber sie sieht die Nutztierhaltung nicht grundsätzlich kritisch: „An vielen Stellen läuft es in guter Ordnung. Natürlich ziehen die schwarzen Schafe alle übrigen mit runter.“

Es fehlt bereits eine verbindliche Definition, was „Tierwohl“ eigentlich bedeutet

Miriam Staudte (Grüne), Mitglied des Niedersächsischen Landtages und stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Sprecherin für Tierschutz, Landwirtschaft und Ernährung, sieht das Positionspapier des Strategierats kritisch: Otte-Kinast rette sich wie Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) durch die Wahlperiode, „ohne je was zu beschließen“. Beider Veränderungswille sei „noch geringer als der mancher Landwirte“.

Die Transformation der Landwirtschaft sei ein „dickes Brett“. Das zeige sich auch an der Frage tierfreundlicherer Ställe. „Planungssicherheit gibt es nur durch einen großen Wurf“, sagt sie. „Und das hier ist keiner.“ Das Positionspapier benenne Probleme, enthalte aber falsche Lösungsansätze. „Etwa, dass der Bezug zwischen Tierzahl und Fläche für Futtererzeugung und Gülleausbringung aufgeweicht wird.“ Staudte ist überzeugt: „Wir müssen die Tierzahl reduzieren. Und wir müssen weg von der Überproduktion, den Exporten.“

In Sachen Stallumbau hat Niedersachsen jetzt eine Bundesratsinitiative angeschoben. Gut, vor der Bundestagswahl wird gesetzgeberisch wohl nichts mehr passieren. Aber irgendwie muss man sein Image ja aufpolieren.