die woche in berlin
: die woche in berlin

Der Musiker Reinhard Lakomy, den nicht nur alle Kinder der DDR kannten und kennen, bekommt ein Ehrengrab, und amtlich ist jetzt gleichfalls, dass am großen Wahltag im September auch über den Enteignungs-Volksentscheid abgestimmt wird, während es in den Bürgerämtern schneller bei den Terminen gehen soll. Hat man wenigstens amtlicherseits versprochen!

Es geht um Würdigung, Anerkennung

Ein Ehrengrab für Reinhard Lakomy. Und für Rio Reiser

Am Mittwoch hat Marco Wanderwitz (CDU), der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, kundgetan, dass 31 Jahre nach der Wiedervereinigung viele Ostdeutsche wohl eine ausgeprägte Politik- und Demokratieskepsis an den Tag legen würden. Die Ursachen dafür sollen seinem „Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit“ zufolge vielfältig sein. Manche würden die DDR-Diktatur verklären, andere hätten negative Transformationserfahrungen gemacht, seien von der Demokratie enttäuscht, fühlten sich benachteiligt oder ihrer Lebensleistung beraubt.

Was kann man da machen? Anerkennung ist ein Stichwort. Zuwendung ein anderes. Würdigung ein drittes.

Das kann so aussehen, mal als Beispiel, dass in Ostdeutschland kräftig investiert wird. Tatsächlich soll in einer ostdeutschen Stadt ein Zukunftszentrum entstehen, mit den Erfahrungen der Einheit sollen Brücken geschlagen und Umbruchprozesse erforscht werden. Keine schlechte Idee, stehen uns doch solche bevor, man denke nur ans Klima. Frankfurt (Oder) hat sich als Standort beworben: direkt an der Grenze zu Polen ein ideales Domizil für so ein Zukunftslabor.

Und Berlin? Die Hauptstadt hat in dieser Woche einen kleinen, eher symbolischen Schritt getan, der jedoch einen hohen Sympathie- und Empathiewert aufweist. Klaus Lederer (Linke), gebürtiger Schweriner, twitterte am Dienstag nach der Senatsentscheidung freudig erregt: „Der Senat hat heute auf meinen Vorschlag auch beschlossen, das Andenken an Reinhard #Lakomy zu würdigen.“

Der Senat hat den in Berlin beerdigten Sänger und Musiker (1946–2013) in den Kreis derer aufgenommen, die eine Ehrengrabstätte erhalten. Laky, wie er von Fans genannt wurde, hat sein Grab auf einem Friedhof im Pankower Stadtteil Blankenburg gefunden.

Neun weitere Persönlichkeiten „von besonderer Bedeutung für die Stadt“ werden mit einem Ehrengrab geehrt. Damit sind es nun insgesamt 683 Ehrengräber – darunter die Gräber von lediglich (!) 79 Frauen. Neu dabei sind seit Dienstag unter anderem Rio Reiser (1950–96), der auf dem Alten St. Matthäus-Friedhof in Schöneberg beerdigt ist (man könnte an Proporz glauben, wenn ein toter Ossi, dann muss auch ein toter Wessi geehrt werden!?). Aber auch die Biologin und NS-Widerstandskämpferin Maria Gräfin von Maltzan (1909–1997) ist darunter.

Worum geht es bei dieser Form der (nachträglichen) Würdigung für besondere Verdienste, die frühestens fünf Jahre nach dem Tod für zunächst 20 Jahre währt? Das zuständige Bezirksamt übernimmt die Kosten für die Grabpflege. Immerhin. Wichtiger als Blümchen pflanzen und gießen ist in diesem Fall jedoch die symbolische Bedeutung.

Ostdeutsche Le­se­r:in­nen werden mit seinem Namen viel anfangen können. Westdeutsch geprägte (okay: auch viele jüngere generell) eher weniger. Reinhard Lakomy hat mit „Dem Traumzauberbaum“ ein ganzes Kinderlieder-Universum geschaffen. Davor hat er sich mit elektronischer Musik einen Namen gemacht, durchaus weltweit (man frage die Leute von Tangerine Dream). Und weit davor, Anfang der 1970er, grandiose Lieder eingespielt und gesungen. Eins meiner Lieblingslieder heißt „Und ich geh’ in den Tag“ – eine Art Hymne aufs Leben. Lakomy lohnt eine Internetrecherche und Hörproben! Wenn schon nicht zu seinen Lebzeiten, dann eben jetzt. Auch eine Form von Würdigung.

Andreas Hergeth

Die Hauptstadt hat in dieser Woche einen kleinen, eher symbolischen Schritt getan, der jedoch einen hohen Sympathie- und Empathiewert aufweist

Andreas Hergeth über das Ehrengrab für Reinhard Lakomy

Mit der richtigen Wucht gewinnen

Enteignungs-Volksentscheid am Wahltag im September

Sie sind ja nicht falsch, die Gedanken, die aus Kreisen der Volksbegehrens Deutsche Wohnen & Co enteignen immer wieder zu hören waren: Ein Wahltermin für den Volksentscheid parallel zu den Wahlen im September – wie er in dieser Woche vom Senat endgültig festgelegt wurde – mindert die Erfolgsaussichten für die Vergesellschaftungsinitiative. Statt vorzugsweise die eigene Klientel in die Wahllokale zu mobilisieren, wird nun jeder noch so reaktionäre Wähler den Abstimmungsbogen automatisch in die Hand gedrückt bekommen.

All jene, die empfänglich sind für die Argumente der Immobilienlobby und ihrer politischen Vertreterinnen von FDP bis SPD, für Linken-Bashing und Sozialismus-Alarmismus, all jene, die nicht über ihren Gartenzaun hinaus blicken können oder wollen, werden nun mit abstimmen und den Volksentscheid damit womöglich scheitern lassen. Auch Unentschlossene und Uninformierte könnten der zu erwartenden Kampagne gegen die Initiative, der Material- und Lügenschlacht, auf den Leim gehen, selbst wenn das Zurückdrängen privater, den Staat um Steuern prellender Immobilienkonzerne auch in ihrem Interesse wäre.

Und dennoch ist die Zusammenlegung mit dem Termin von Bezirks-, Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl die einzig richtige Entscheidung, und das nicht nur, weil damit Aufwand und Kosten einer zweiten Wahl vermieden werden. Auch für die Legitimität der Initiative ist das notwendigerweise richtig. Ihr Anliegen kommt einem Systemwandel gleich, einem Bruch mit einer kapitalistischen Logik, die sich in alle Lebensbereiche gefressen hat. Die Tiefe des Einschnitts erinnert an eine Verfassungsänderung im Parlament, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist.

Eine eigenständige Abstimmung hätte die Initiative auch mit einer Mehrheit und den Ja-Stimmen von nur einem Viertel der Wahlberechtigten gewonnen. So allerdings braucht sie die Mehrheit von womöglich zwei Millionen Wähler*innen. Im Erfolgsfall bedeutet das eine ganz andere Wucht: Kein Minderheitenprojekt, sondern eines der Stadtgesellschaft. Eines, das auch die nächste Regierung, die die Vergesellschaftung erst in ein Gesetz gießen soll, nicht torpedieren kann. Um dieses Ziel zu erreichen, ist Wäh­le­r*in­nen­ver­ach­tung wie oben fehl am Platz. Die Initiative muss um jede FDP-Wählerin kämpfen. Dann hat sie auch die Chance, nicht nur zu gewinnen, sondern mehrheitlich anerkannt zu werden.

Erik Peter

Man hat ja die Wahl, wo man warten will

Bei den Bürgerämtern gibt es bald Tausende neue Termine

Quasi in letzter Minute haben Senat und Bezirke Besserung gelobt. 50.000 Termine soll es in den Bürgerämtern monatlich zusätzlich geben. Das verriet IT-Staatssekretärin Sabine Smentek (SPD) am Mittwochabend dem RBB. Höchste Zeit war das, weil gerade in der Ferienzeit der ein oder andere beim Blick auf den Reisepass feststellt: Huch, der ist ja abgelaufen.

Smentek will den zwölf Bezirken nun 40 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung stellen. Damit soll es möglich werden, die Öffnungszeiten zu verlängern. Teilweise sollen die Ämter auch am Samstag öffnen. Die Zahl der Wochenarbeitsstunden soll von 35 auf 37 Stunden steigen.

Wieder einmal. Wie ein ungezogenes Kind, das zum x-ten Mal beim Schwindeln erwischt wurde, verspricht der Senat Besserung. Damit uns hier keiner Übertreibung vorwirft, zitieren wir aus einer Antwort, die Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) dieser Zeitung bereits 2016, also vor fünf Jahren, gegeben hat: „Ohne ehrgeizige Ziele erreicht man überhaupt nichts. Das wird sportlich, aber ich werde mich da mit großem Engagement drum kümmern“, sagte Kollatz in einem Interview mit der taz. „Wir haben schon jetzt sehr viel bei der Personalausstattung in den Bürgerämtern getan. Die Wartezeiten haben sich im Vergleich zu den Vorjahren bereits verringert.“

Keiner, so versprach es Kollatz damals, müsse länger als 14 Tage auf einen Termin im Bürgeramt warten. Fünf Jahre später muss die grüne Stadträtin für Bürgerdienste in Tempelhof-Schöneberg, Christiane Heiß, ebenfalls im taz-Interview einräumen: „Wir schaffen das 14 Tage-Ziel im Moment nicht, das will ich gar nicht beschönigen.“

Nun gehört wenig Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie es die nächsten Monate laufen wird. Bis zur Wahl wird sich die Lage etwas entspannen, danach wird alles so sein wie vorher. Viel erfolgversprechender als wieder einmal Besserung zu loben, wäre deshalb gewesen, was Stadträtin Heiß gegenüber der taz nur angedeutet hat, nämlich die Allgemeinzuständigkeit der Bezirke aufzuheben.

Wenn es nicht mehr möglich wäre, als Pankowerin einen Termin in Spandau zu buchen oder als Spandauer in Treptow-Köpenick, dann wäre ziemlich sicher Musike drin in einer so öden Sache wie einem Verwaltungsthema. Wer nur in seinem eigenen Bezirk Termine buchen kann, schaut nämlich plötzlich genau hin. Warum dauert es bei mir drei Wochen länger als im Nachbarbezirk? Was machen die besser? Und wer ist dafür verantwortlich?

Schon jetzt lässt sich sagen, wer weit vorne liegt und wer hoffnungslos hinterher ist. Neukölln zum Beispiel, sagt die Stadträtin aus Tempelhof-Schöneberg, habe viel Luft nach oben, Charlottenburg-Wilmersdorf ebenfalls.

Senat und Bezirke haben sich aber statt einer Aufhebung der Allgemeinzuständigkeit dafür entschieden, das Thema aus dem Wahlkampf rauszuhalten. Schade eigentlich. Wiedervorlage in fünf Jahren. Uwe Rada