die woche in berlin
: die woche in berlin

Rot-Rot-Grün bedenkt – endlich – die Bibliotheken mit Millionen Euro. Der Abschlussbericht des Anis-Amri-Untersuchungsausschusses umfasst 1.200 Seiten. Und die auf den Weg gebrachte Aktualisierung des Berliner Energiewendegesetzes hat es echt in sich

Bollwerke gegen den Populismus

Die Kulturpolitik will Berlins Bibliotheken besser ausstatten

Das werden einige kennen: Die Chancen auf einen Arbeitsplatz stehen gleich null. Der neue, interessante Sachbuch­titel, über den gerade alle reden? Seit Anschaffung nonstop verliehen. Und eine Auskunft darüber, wo das Buch abgeblieben sein könnte, das angeblich nicht verliehen, aber trotzdem unauffindbar ist: vielleicht übermorgen.

Von den Großen bis zu den Kleinen sind Berlins Bibliotheken seit Jahrzehnten notorisch unterversorgt. Darum ist es überfällig, dass die Berliner Kulturpolitik in dieser Woche über ein neues Bibliothekengesetz beraten hat. Zusätzlich 37,9 Millionen Euro – jährlich – möchte die Stadt nach Stand der Dinge für ihre Bibliotheken in die Hand nehmen. Die Betonung liegt allerdings leider auf Stand der Dinge, denn im Augenblick weiß niemand ganz genau, welche Löcher die Pandemie noch in die Budgets reißen wird. Außerdem stehen die Wahlen vor der Tür und es gilt als ziemlich ungewiss, ob ein*e an­de­re*r Kul­tur­se­na­to­r*in im selben Maße für die Bibliotheken brennen würde wie Klaus Lederer von den Linken.

Dabei ist es höchste Zeit, dass die Stadt mehr Geld in die Bibliotheken steckt, denn Berlin hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Stadt ist größer und bunter geworden – und anders als erwartet zieht es die Menschen nicht nur trotz ihrer Smartphones und digitalen Überdrusses in die Bibliotheken, sondern teils gerade wegen der neuen Technik. Viele Bi­blio­the­ka­r*in­nen berichten, dass sie sich gar nicht vor Anfragen retten können von alten Menschen, die das Internet erklärt bekommen möchten, und auch von jungen Menschen, die sich sofort in die Warteliste eintragen lassen würden, wenn es in der Bibliothek ihrer Wahl endlich Programmierkurse gäbe.

Man braucht nur in andere europäische Länder zu blicken, um zu sehen, welche Bedeutung Bibliotheken für die Stadtgesellschaft bekommen können, wenn sie über mehr Raum, Personal und Medien­budgets verfügen. In der 2020 fertig­gestellten Deichman-Bibliothek in Oslo können Be­su­che­r*in­nen Computerspiele spielen, im Minikino Filme gucken, es gibt ein Tonstudio, Nähmaschinen, 3D-Drucker und diverse Werkzeuge zum kostenfreien Gebrauch. Die 2018 eröffnete Bibliothek Oodi in Helsinki bietet Medienräume, einen Saal mit intelligenten Wänden und sogar eine Sauna. Und in London werden die Stadtteilbibliotheken schon seit knapp 20 Jahren durch „Idea Stores“ inklusive Hausaufgabenbetreuung, Fernstudium, Erwachsenenbildung und Gastronomie ersetzt.

So etwas ist von unschätzbarem Wert für die Stadtgesellschaft in einer Zeit, wo der Raum knapper wird und wo sich zunehmend Menschen die Welt, wie sie ihnen gefällt, aus dem Netz zusammenklauben. Insofern ist es gut, dass die Berliner Politik zumindest schon mal erkannt hat, dass Bibliotheken längst keine staubigen Bücherkisten mehr sind.

Susanne Messmer

Man braucht nur in andere europäische Länder zu blicken, um zu sehen, welche Bedeutung Bibliotheken für die Stadt­gesellschaft bekommen können, wenn sie über mehr Raum, Personal und Medien­budgets verfügen

Susanne Messmer über das vom Senat beschlossene Bibliothekskonzept

Auf den Spuren des Attentäters

Amri-Untersuchungsausschuss stellt Abschlussbericht vor

Sechs Stunden lang wird Anis Amri am 7. März 2016 von Polizisten observiert. Er besucht in dieser Zeit die als Salafisten-Treffpunkt bekannte Fussilet-Moschee in Moabit, eine Wohnung in der Großbeerenstraße in Kreuzberg, eine Wohnung in der Lychener Straße in Prenzlauer Berg und später das Gesundbrunnencenter in Wedding, an dessen nahen S-Bahnhof ihn die Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) schließlich aus den Augen verlieren. Dazu gibt es Informationen, wen Amri in dieser Zeit getroffen hat.

Wer viel Zeit und Muße hat, kann im Abschlussbericht des Armi-Unterschungsausschusses auf viele weitere Details stoßen – zu Amri, zu den ermittelnden Behörden, zu Pannen, zu Fehleinschätzungen. Und manche Schilderungen werfen die Frage auf, wie nah einem Amri, der spätere Attentäter vom Breitscheidplatz, in seiner Zeit in Berlin gekommen ist.

Der am Montag vorgestellte 1.200 Seiten starke Abschlussbericht ist Beweis einer beeindruckenden Arbeit der Parlamentarier*innen. Vier Jahre wurde getagt, fast 100 Zeu­g*in­nen befragt. Nicht alle Fragen konnten geklärt werden: So bleibt zum Beispiel weiterhin offen, warum die Observation von Amri im Juni 2016 plötzlich von der Berliner Polizei abgebrochen und bis zu dem Anschlag am 19. Dezember 2016 mit zwölf Toten nicht mehr aufgenommen wurde. Und auch das Umfeld von Anis Amri hätte nach Einschätzung von Grünen und Linken noch deutlicher untersucht werden können und müssen.

Dennoch ist der einstimmig von den Fraktionen beschlossene Bericht ein Beleg, dass das demokratische System und die Kontrolle der Sicherheitsorgane funktioniert: Die Abgeordneten haben herausgearbeitet, welche teils gravierenden Fehler bei den Ermittlungen gegen Amri vor dem Attentat passiert sind. Andere demokratische Kontrollinstanzen, etwa die Medien, sind zu einer so kleinteiligen und aufwändigen Arbeit inzwischen kaum mehr in der Lage. Schon die Berichterstattung über die Arbeit des Untersuchungsausschusses hatte deutliche Lücken.

Aufgabe der Parlamentarier ist es nun zu kontrollieren, ob die teils deutlich kritisierten Sicherheitsorgane wie der Verfassungsschutz und das LKA Lehren aus ihren Fehlern ziehen, diese umsetzen und zum Beispiel ineffiziente Strukturen ändern sowie die Zusammenarbeit untereinander verstärken. Dass dies passiert, ist trotz der Pannenserie im Fall Amri nicht selbstverständlich. Das hat der Skandal um die lange unentdeckt gebliebene rechtsextreme Terrorzelle NSU gezeigt. Bert Schulz

Jetzt aber ganz schön verschärft

Das Energiewendegesetz wird zugespitzt. Aber ob das reicht?

Ende gut, alles gut? Na ja. Immerhin hat sich Rot-Rot-Grün noch zusammengerauft und nach langem Hin und Her den Weg für die Aktualisierung des Berliner Energiewendegesetzes (EWG) freigemacht: Am Montag beschloss der Ausschuss für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz die Novelle, am Mittwoch winkte der Hauptausschuss sie durch. Nun kann sie am Donnerstag nächster Woche vom Parlamentsplenum verabschiedet werden.

Die Neufassung, die der Senat im April auf den Weg brachte, war notwendig geworden, nachdem die Landesregierung eine „Klimanotlage“ verkündet hatte – und das ist auch schon anderthalb Jahre her. Immerhin wurden jetzt im Umweltausschuss die Ziele und Maßnahmen noch einmal klar zugespitzt.

Ab jetzt gilt: Berlins Kohlendioxid-Emissionen müssen bis 2030 um mindestens 70 Prozent unter dem Niveau von 1990 liegen – und bis 2045 um mindestens 95 Prozent. Der Senat war im April noch etwas zögerlicher gewesen: 65 Prozent weniger bis 2030, stand in seinem Entwurf, und 95 Prozent bis 2050. Das sind gewaltige Einsparungen, wenn man bedenkt, dass die Hauptstadt 2020 erst bei 40,7 Prozent angekommen war. Vor diesem Hintergrund erscheinen die neuen Ziele fast utopisch. Aber es soll ja nun auch in großen Schritten bei der CO2-Einparung vorangehen.

Die erste große Aufgabe ist die Umstellung der Verwaltung auf klimaneutrales Wirtschaften. Das soll durch die massive Reduktion des Energieverbrauchs öffentlicher Gebäude bei Neubau und Sanierung funktionieren, und deren Dächer müssen bis Ende 2024 mit Solarpaneelen ausgestattet sein. Der aus dem Netz bezogene Strom – ob im Roten Rathaus oder der landeseigenen Kita – muss aus erneuerbaren Energieträgern stammen, und bis 2030 sollen alle Fahrzeuge der öffentlichen Hand klimaneutral angetrieben werden.

Ein weiterer zentraler Punkt ist der Umbau der Wärmeversorgung, mit Abstand die größte CO2-Schleuder. Hier strebt das Land nun das Erreichen der Nullmarke zwischen 2040 und 2050 an, schon bis 2030 sollen 40 Prozent der Fernwärme erneuerbar erzeugt werden. Erst auf den letzten Metern hinzugefügt wurde die Verpflichtung der Wärmeerzeuger, bis 2023 einen „Dekarbonisierungsfahrplan“ vorzulegen. Geschieht das nicht, drohen Bußgelder von bis zu einer Million Euro.

„Echte Meilensteine“, erkannte Daniel Buchholz (SPD), „sehr stolz“ sei er darauf. Sein Kollege Georg Kössler von den Grünen war da kritischer: „Es kann nicht sein, dass wir angesichts der Klimakrise so lange für diese Novelle gebraucht haben“, fand er, freute sich aber über Weichenstellungen wie das Definieren von Sektorzielen und die Auflage eines Sofortprogramms. Dass das bezirkliche Personal nicht aufgestockt werde, erschwere aber die Umsetzung.

Auch sonst ergeben sich einige Fragezeichen: Ist es richtig, Wärme aus Müllverbrennung als erneuerbar zu labeln? Besser als ihr Ruf ist diese allemal, aber nicht wirklich klimaneutral. Juckt ein Bußgeld von einer Million einen Konzern wie Vattenfall allzu sehr? Ist es ein richtiges Signal, Schulneubauten von den strengen energetischen Zielen auszunehmen, wenn sie vor Ende 2024 genehmigt werden?

Für die KlimaschützerInnen in der Koalition ist der Kampf noch lange nicht vorbei: In der kommenden Legislaturperiode kann und muss das alles noch stringenter werden. Claudius Prößer