Wolt will liefern

In Hamburg ist seit Donnerstag ein neuer Lieferdienst unterwegs. Wolt sieht sich als sozialer Arbeitgeber; bei den tatsächlichen Bedingungen ist aber noch Luft nach oben

Künftig häufiger zu sehen: Wolt-Lieferanten mit dem Fahrrad – hier in der Speicherstadt Foto: Wolt

Von Lotta Drügemöller

Hamburg hat einen neuen Lieferdienst; Wolt will seinen Kun­d*in­nen nicht nur Restaurant-Essen, sondern irgendwann auch alles andere an die Haustür bringen – und wirbt mit einem guten Gewissen. Etwas nach Hause liefern lassen sei „nicht nur super bequem“, schreibt die finnische Firma auf ihrer Homepage. „Wenn du bei Wolt bestellst, unterstützt du zugleich Tausende von hart arbeitenden Restaurantbesitzern und Kurieren.“

Das Unternehmen ist schon seit einem guten Jahr in Berlin unterwegs, auch in Frankfurt und Köln gibt es Ableger. In Hamburg arbeiten momentan 50 Ku­rie­r*in­nen für Wolt, bis Jahresende sollen es bis zu 500 werden.

Die Firma selbst sieht sich als Arbeitgeber, der sich intern und extern für faire Arbeitsbedingungen einsetzt: Als Finnen seien die Gründer „tief verwurzelt mit dem skandinavischen Wohlfahrtsstaat“. Als Arbeitgeber stehe man in Deutschland ohnehin in einem „Wettbewerb, um die besten Arbeitsbedingungen für Kurier:innen, gut so!“, schreibt das Unternehmen auf eine taz-Anfrage. „Die Lösung liegt nicht in Kampfpreisen und Dumpinglöhnen.“

Es brauche noch mehr Vorgaben aus der Politik, „einen klaren Handlungsrahmen gegen Cowboy-Kapitalismus und Sub-Unternehmerstrukturen“, findet Pressesprecher Fabio Adlassnigg. Wolt setze sich für eine Form der Nachunternehmerhaftung ein, wie sie 2019 für Paketdienstleister beschlossen wurde – Unternehmen wie Amazon sind damit für die Arbeitsbedingungen bei Subunternehmen verantwortlich.

Schlecht klingt das nicht. In der Praxis scheint das Konzept von Wolt für Ar­beit­neh­me­r*in­nen aber vor allem zu bedeuten: Die Situation ist mehr oder weniger branchentypisch. Es gibt keine schlimmen Ausreißer nach unten, aber auch keine deutlich besseren Bedingungen.

Ku­rie­r*in­nen sind sozialversicherungspflichtig angestellt. Pro Bestellung gibt es 3,60 Euro bis 4,60 Euro für die Fahrer*innen, mindestens aber elf Euro in der Stunde. Die Fah­re­r*in­nen liefern nur in einem Radius von drei Kilometern, so dass die einzelnen Touren nicht zu lange dauern sollen; die meisten Mit­ar­bei­te­r*in­nen kämen so auf Stundenlöhne zwischen zwölf und 16 Euro, sagt Pressesprecher Adlassnigg.

Den Gewerkschaften dürfte das nicht reichen. Die Beschäftigten des Lieferdienstes Lieferando kämpfen laut der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) derzeit für einen Tarifvertrag, der einen Mindestlohn von 15 Euro vorsieht. Dieser Maßstab dürfte auch für neue Akteure gelten.

Eine weitere Kritik der Gewerkschaften an Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten: Viele Ku­rie­r*in­nen müssen ihr eigenes Fahrzeug nutzen. Das ist auch bei Wolt der Standard. Allerdings bekommen die Mit­ar­bei­te­r*in­nen deshalb zusätzlich zu den elf Euro Stundenlohn, beziehungsweise den höheren Provisionslöhnen, auch Kilometergeld. Mit 60 Cent pro Kilometer wird die Nutzung des eigenen Fahrzeugs abgegolten.

Das Kilometerzählen indes bringt auch Überwachung mit sich: Eine App speichert, welche Touren die Fah­re­r*in­nen über den Tag gemacht haben. „Wir brauchen das Tracking, um ein faires Entgelt sicherzustellen“, argumentiert Pressesprecher Adlassnigg. Das System sei aber konform mit der Datenschutzgrundverordnung. Weitere Daten würden vom Unternehmen nicht erhoben. „Ich wüsste auch nicht, warum wir Interesse daran haben sollten, wo jemand Pause macht.“

Die Gründer sehen sich „tief verwurzelt mit dem skandinavischen Wohlfahrtsstaat“

Zumindest in einer Hinsicht kann der neue Lieferdienst, als sozialpolitischer Rückschritt gegenüber dem Status Quo angesehen werden: Lieferando ist im August dazu übergegangen, unbefristete Arbeitsverträge auszustellen. Bei Wolt dagegen sind die Verträge befristet.

„Das Betriebsrisiko legt man dadurch stark auf den Arbeitnehmer“, kritisiert Marek Beck von der Hamburger Arbeitsrechtskanzlei Müller-Knapp/Hjort/Wulff. „Außerdem macht es das schwieriger für die Einzelnen sich für bessere Arbeitsbedingungen zu engagieren.“

Allerdings seien befristete Verträge auch andernorts verbreitet: „Auch am UKE in Hamburg sind Befristungen für die Ärz­t*in­nen der Normalfall“, sagt Beck.

Und Wolt? Will sich des Themas annehmen. Unternehmerisch spreche nichts gegen Entfristungen, so Adlassnigg. „Wir sind dran, die Entscheidung dauert nur ein bisschen“, sagt er. Er sei sich „sicher, dass wir da Ende des Jahres etwas Schönes verkünden können.“