Marcus Woeller schaut sich um in den Galerien von Berlin

Furchteinflößend, aber auch devot nimmt ein (ausgestopfter) Wolf in seinem Heulen eine Pose ein. Die Zähne gefletscht, die Ohren angelegt, richtet er sein Gejaule zehn Bildern einer Sonnenfinsternis entgegen, die im Sommer 1999 für ein paar Minuten Teile Europas verdunkelte. Wohl jede Tageszeitung veröffentlichte damals eine Aufnahme des astronomischen Events. Der schottische Künstler Douglas Gordon hat diese Fotos gesammelt und ergibt sich zunächst der sublimen Überwältigungsoptik des kosmischen Moments. Doch wie in einem Palimpsest sind jeder Korona noch unleserliche Textinformationen von der Zeitungsrückseite eingeschrieben. In der Reihung seiner Edition handabgezogener Offsetdrucke, die die Galerie Niels Borch Jensen ausstellt, scheint plötzlich eine wichtige Erkenntnis der Wahrnehmung auf: Selbst die archetypische Urbilder erfassen wir heute nur noch durch den medialen Filter.  Subjektiver gefiltert sind die Betonskulpturen, Spiegel- und Edelstahlinstallationen und Gouachen von Isa Melsheimer. Die in Berlin lebende Künstlerin hat sich in der näheren Umgebung ihrer Galerie Esther Schipper umgesehen und zitiert in ihrer Ausstellung „A Green Archipelago“ signifikante Architekturen und Bauelemente, die sie jedoch abstrahiert und in andere Zusammenhänge setzt. Mies van der Rohes Kreuzpfeiler werden so zum auf Hochglanz polierten Designlustobjekt, John Hejduks Kreuzberg-Tower hat eine Zukunft im Zoo, und überall sprießen zwischen den Anspielungen auf in Berlin vertretene Architekten wie Rem Kohlhaas, Oswald Mathias Ungers oder James Stirling Zimmerpflanzen oder steht Gebrauchskeramik herum. Melsheimers konzeptuelle Ausstellung kann man als Aufforderung verstehen, den Stadtraum als offenes Modell der individuellen Aneignung unserer gebauten Umwelt zu verstehen.

■ Douglas Gordon, „August 12, 1999“, bis 28. Juli, Di.–Sa., 11–18 Uhr, Lindenstr. 34 ■ Isa Melsheimer, „A Green Archipelago“, bis 28. Juli, Di.–Sa., 11–18 Uhr, Schöneberger Ufer 65