Die Lüge erkennen

Falschinformationen schüren in Zentralnigeria Unsicherheit und Gewalt

Illustration: Lomedy Mhako

Aus Jos, Nigeria Martha Asumata Agas

Es begann mit einem schrecklichen Video, das am 23. Juni 2018 auf Facebook gepostet wurde. Zu sehen war ein verstümmeltes Baby, Leichen und wie der Kopf eines Mannes aufgeschnitten wurde. Die Bildunterschriften deuteten darauf hin, dass die Taten im Gashish-Bezirk des nigerianischen Bundesstaates Plateau verübt worden waren, und zwar von Angehörigen der Fulani, einer überwiegend muslimischen Ethnie, an Angehörigen der hauptsächlich christlichen Berom. Die Bilder verbreiteten sich in den sozialen Medien, und je häufiger sie geteilt wurden, desto stärker wurde das Gerücht, die Berom seien von den Fulani massakriert worden. Die Vermutung lag darum nahe, dass der Facebook-Beitrag allein darauf abzielte, gewalttätige Aktionen der Berom gegen die Fulani zu rechtfertigen.

Dass Falschmeldungen zum Tod von Menschen führen, ist ein Muster, das sich in Plateau wiederholt, und die Behörden wissen oft nicht, was sie dagegen tun können. Der leichte Zugang zu sozialen Medien hat die Verbreitung von Fake News deutlich erhöht – mit fatalen Folgen für eine multiethnische Region wie Plateau, wo es seit Beginn des Jahrtausends ökonomisch bedingte Zusammenstöße zwischen Bauern und Hirten, Landstreitigkeiten, ethnisch-religiös gefärbte Konflikte und Terroranschläge gibt.

Junge Ni­ge­ria­ne­r:in­nen informieren sich inzwischen über soziale Medien und Nachrichten, die auf ihren Smartphones einlaufen. Unruhestifter, die Zwietracht säen wollen, finden so viele Empfänger von aufwiegelnden Botschaften. Von 2015 bis 2019 stieg die Zahl der Menschen mit Internetanschluss in Nigeria von 76 Millionen auf 122 Millionen, und etwa 80 Prozent der Bevölkerung nutzen WhatsApp. Über Sprachnachrichten dieses zu Facebook gehörenden Messengerdienstes werden auch Ni­ge­ria­ne­r:in­nen erreicht, die nicht lesen können.

Wer steckt dahinter? Manchmal sind es Influencer, die die Zahl ihrer Follower vergrößern wollen, manchmal sind es politische Ideologen, die die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung lenken wollen.

Dass Fake News gerade die gesundheitliche Aufklärung beeinträchtigen können, zeigte sich bereits beim Ebola-Ausbruch 2014: Bei Twitter schrieben einige Nigerianer, dass das Trinken von Salzwasser vor Ansteckung schützen würde. In Plateau wurden mindestens zwei Menschen als tot gemeldet, weil sie zu viel Salzwasser zu sich genommen hatten. Auchdie Bekämpfung des Coronavirus seit dem Frühjahr 2020 wurde durch Fehlinformationen erschwert. So stieg in Nigeria etwa die Nachfrage nach dem Anti-Malaria-Mirkstoff Chloroquin, nachdem es der damalige US-Präsident Donald Trump gegen Covid-19 angepriesen hatte. Mehrere Menschen mussten sich nach der Einnahme von Chloroquin im Krankenhaus behandeln lassen.

In Plateau wollen aber nicht alle Akteure das Vordringen von Fake News einfach so hinnehmen. Die Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bundesstaat Plateau (CSO) organisiert etwa Programme für eine verantwortungsvolle Nutzung der sozialen Medien. Der CSO-Vorsitzende Gad Pete sagt: „Wir haben Jugendliche eingeladen, um sie im sensiblen Umgang mit den sozialen Medien zu schulen und ihnen zu zeigen, wie man richtige Inhalte verbreitet.“ Wichtig sei, nicht nur Fake News zu erkennen, sondern die Menschen zu befähigen, im Internet vertrauenswürdige Informationen zu finden. „Wir tun viel, aber es gibt noch viel mehr zu tun.“

Eine Organisation, die sich für nachhaltige Konfliktbewältigungen im Bundesstaat Plateau einsetzt, ist die NGO Center for Advancement of Peace in Nigeria (Cepan) mit Sitz in Jos. Cepan führt Programme zur Friedensbildung durch. Bei einem Projekt wurden Führer des christlichen und muslimischen Glaubens an einen Tisch gebracht, um ein friedvolles Miteinander auf den Weg zu bringen. Ziel war, sagt der Cepan-Direktor, Pfarrer Samuel Gorro, „für Toleranz und Respekt zwischen den ethnischen und religiösen Gemeinschaften in Jos zu werben“.

Über Whats App-Sprachnachrichten werden auch Ni­ge­ria­ne­r:in­nen erreicht, die nicht lesen können

Ein weiteres Cepan-Projekt legte den Fokus auf die Gefahren von Fehlinformationen: „Frauen werden in der Regel nicht an friedensfördernden Maßnahmen beteiligt“, sagt Gorro. „Doch wir haben sie dafür sensibilisiert, welche schädliche Wirkung das Verbreiten von Fake News durch ihre Kinder haben kann. Das hat eine große Wirkung gezeigt.“

Auch die Regierung hat die Sprengkraft der Fake News erkannt. 2016 richtete sie im Staat Plateau eine „Friedensagentur“ ein, im ganzen Land gibt es Fortbildungsprogramme zum Factchecking. Gleichwohl sind Plateau und viele weitere Teile Nigerias von Gewalt und Unsicherheit geprägt, die teils mit Fake News befeuert werden.

Auch andernorts gilt Desinformation längst als Bedrohung für die Demokratie. Laut einer Untersuchung stießen etwa schon 2018 mehr als zwei Drittel der Be­woh­ne­r*in­nen in den 28 EU-Mitgliedstaaten mindestens einmal pro Woche auf Fake News, mehr als ein Drittel davon sogar fast täglich. Experten ist klar: Wenn Tech-Konzerne, Regierungen und Ver­brau­che­r*in­nen nicht kooperieren, wird das Problem kaum in den Griff zu bekommen sein.

Dass man sich dabei nicht auf die Social-Media-Plattformen verlassen sollte, zeigt das Beispiel Facebook: Vor allem außerhalb der USA und der EU prüft das US-Unternehmen Posts weniger konsequent. Das hat auch damit zu tun, dass nicht genügend Mitarbeiter lokale Sprachen sprechen. Inhalte werden so oft nicht aktiv von Menschen moderiert – und können sich auch dann verbreiten, wenn sie gegen die von Facebook selbst auferlegten Regeln verstoßen. In einem Land wie Nigeria, wo die digitale Kompetenz vergleichsweise niedrig ist, braucht es daher auch kompetente Journalist:innen, die in der Lage sind, zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden, Falschmeldungen in den sozialen Medien offenzulegen und richtigzustellen. Das kann manchmal Menschenleben retten.