16- und 17-Jährige sollen Parlament wählen dürfen

Die rot-grüne-rote Koalition einigt sich mit der oppositionellen FDP auf ein niedrigeres Wahlalter, das bislang nur für die Bezirkswahlen galt. Damit liegt eine ausreichende Mehrheit für eine Verfassungsänderung vor. Die SPD will aber auch die CDU noch ins Boot holen

Hier wählt sogar eine Elfjährige mit – bei der U-18-Europawahl 2019 Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Stefan Alberti

Bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl, regulär 2026, und bei Volksentscheiden sollen auch 16- und 17-Jährige mit abstimmen können. Darauf haben sich die rot-grün-rote Koalition und die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus geeinigt. SPD-Fraktionschef Raed Saleh bestätigte der taz am Donnerstag Informationen zu einem ebensolchen Treffen mit FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja. „Es ist gelungen, dass die FDP mitmacht“, sagte Saleh. Ihm zufolge binden die Liberalen daran keine Bedingungen. Rund 70.000 junge Menschen würden durch die Änderung wählen können, die bis Jahresende beschlossen sein soll.

Allein kann die Koalition die Neuerung nicht beschließen, weil diese eine Verfassungsänderung erfordert, für die im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist. Darüber verfügen SPD, Grüne, Linkspartei und FDP seit der Wahl im vergangenen September, anders als in der vorigen Wahlperiode. Die Stimmen der bei früheren Debatten über ein niedrigeres Wahlalter ablehnenden CDU sind dafür nicht nötig. Saleh rief deren Fraktions- und Landesvorsitzenden Kai Wegner dennoch auf, sich dem Bündnis für eine Änderung des Wahlalters anzuschließen – „so ein Vorhaben sollte man so breit wie möglich verabreden.“

Im Abgeordnetenhaus haben die drei Koalitionsfraktionen seit Herbst zusammen 92 Sitze. Mit den 12 Mandaten der FDP-Fraktion sind es 104 – sechs mehr als die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. In der vergangenen Wahlperiode fehlten einem solchen informellen Bündnis vier Stimmen. „Liebe CDU, macht mit“, forderte Saleh seinen wie er selbst in Spandau beheimateten Fraktionschefkollegen Wegner auf. Die CDU habe zwar in der Vergangenheit Gesprächsangebote nicht angenommen, „aber die Tür steht nach wie vor offen“, so Saleh.

Die Christdemokraten hatten bisher unter anderem damit argumentiert, dass es nicht zusammenpasse, wenn 16-Jährige ein Landesparlament wählen, aber nicht voll umfassend Verträge abschließen dürften. Die Haltung in der aktuellen CDU-Fraktion ist allerdings offen: Fast die Hälfte ihrer 30 Abgeordneten ist im Herbst neu ins Abgeordnetenhaus gekommen. Fraktionssprecher Olaf Wedekind ging gegenüber der taz davon aus, dass sich die Fraktion bei ihrer nächsten Sitzung am 3. Mai mit dem Thema beschäftigen wird, wenn bis dann ein offizieller Antrag vorliegt.

SPD-Fraktionschef Saleh hatte nach eigenen Angaben im Auftrag der rot-grün-roten Koalition mit FDP-Mann Czaja gesprochen. Zu ihm hat er, wie sich im Parlament immer wieder zeigt, einen guten Draht. „Mir persönlich ist das Thema seit vielen Jahren wichtig“, sagte er der taz. Tatsächlich fragte Saleh schon im taz-Sommerinterview 2019 rhethorisch zum Thema Wahlalter: „Wer soll das hinbekommen, wenn nicht Rot-Rot-Grün?“ Der SPD-Landesverband habe sich bereits vor vier Jahren hinter die Forderung nach einem Wahlalter ab 16 Jahren gestellt. Eine Mitgliederbefragung lehnte das 2015 noch ab.

Rund 70.000 junge Menschen würden durch die Änderung wählen können

Dass künftig auch unter 18-Jährige das Landesparlament wählen können, ist auch eine langjährige Forderung des SPD-Nachwuchsverbands Jusos. Dessen Landesdelegiertenkonferenz hatte sich sogar dafür ausgesprochen, schon mit 14 Jahren wählen zu können. Für ihre Landeschefin Sinem Taşan-Funke waren die Jusos in der SPD die treibende Kraft hinter der nun verabredeten Absenkung auf 16 Jahre. „Wir sehen das auch als unseren Erfolg, dass das jetzt kommt“, sagt sie der taz.

Wenn das Abgeordnetenhaus die Verfassungsänderung beschließt, wäre Berlin das sechste Bundesland, in dem auch 16- und 17-Jährige wählen dürfen. Das ist bisher in Bremen, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein möglich – und seit Anfang April auch im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg. „Wenn die CDU dort zustimmen kann, warum dann nicht auch in Berlin?“, fragte Saleh. Im seit 2017 von der CDU geführten Schleswig-Holstein war das Wahlalter 2013 unter der rot-grünen Vorgängerregierung abgesenkt worden.

Bei den in Berlin zeitgleich zur Abgeordnetenhauswahl anstehenden Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen dürfen 16- und 17-Jährige bereits mit abstimmen. „Das hat der Demokratie genutzt und nicht geschadet“, meint Saleh. Deshalb soll die Absenkung des Wahlalters aus seiner Sicht auch nicht auf der Landesebene halt machen: „Perspektivisch müssen wir über das Bundeswahlrecht nachdenken.“ Die auf Bundesebene regierende Ampel-Koalition befürworte das. Sie hat aber im Bundestag auch mit der Linksfraktion zusammen keine Zwei-Drittel-Mehrheit und wäre anders als Rot-Grün-Rot in Berlin auf die CDU angewiesen.