Sind Linke gewalttätiger als Rechte?

Ein Senatsbericht aus Bremen zählt viele linke Gewalttaten gegen Personen. Doch es sind fast nur minder schwere Fälle. Trotzdem gibt es eine Sonderkommission der Polizei

Der Pflasterstein gehört durchaus zum linken Repertoire. Doch die typische linke „Gewalttat“ ist Schubsen oder „Widerstand“ Foto: Sebastian Willnow/dpa

Von Lotta Drügemöller

Die linke Szene in Bremen ist doppelt so gewalttätig wie die Rechte – bei oberflächlicher Betrachtung könnte man das aus einem Bericht des Bremer Senats herauslesen. Auf Anfrage der Grünen-Fraktion hat die Landesregierung am Mittwoch Zahlen zu politisch motivierter Kriminalität veröffentlicht.

Bei Körperverletzungen liegt die linke Bremer Szene demnach deutlich vorn: Im Zehn­jahresschnitt werden jährlich 8,6 Körperverletzungen als links motiviert eingestuft; doppelt so viele wie von rechts mit 4,3 pro Jahr. Noch deutlicher ist das Verhältnis bei Branddelikten: Im Schnitt 5,6 Brandanschläge pro Jahr wurden in der Vergangenheit linken Bre­me­r*in­nen zugeschrieben, 0,9 rechten.

Stimmt die Faustregel für politisch motivierte Straftaten „Gewalt gegen Menschen kommt von rechts, Gewalt gegen Sachen kommt von links“ für Bremen also nicht? Liegt die Gefahr in Wirklichkeit links?

Zumindest in Teilen lassen sich die Zahlen relativieren. Es lohnt ein Blick aufs Detail: Für 2021 sind in dem Bericht 17 linke Gewaltdelikte gegen Personen aufgeführt; sechs davon beziehen sich auf Gewalt gegen Po­li­zis­t*in­nen – gleich fünf davon sind als „Widerstandshandlung gegen Polizeibeamte“ bei einer Zwangsräumung vermerkt – die taz hatte bei der fraglichen Aktion eher ein hartes Anpacken der Po­li­zis­t*in­nen dokumentiert.

Die übrigen elf Gewalttaten gehen auf Aktionen bei Gegendemos gegen gleichzeitig stattfindende Proteste zurück. „Auseinandersetzung“ steht an dieser Stelle im Senatsbericht, oder: „Teilnehmer einer Gegendemo werden geschubst“. Vermerkt ist aber auch ein „Angriff auf einen Rollstuhlfahrer“. Wie die dazugehörige Polizeimeldung vermerkt, wurde dem Mann offenbar nach einer Querdenkerdemo eine Fahne entwendet, er selbst dabei leicht verletzt.

Dass auch Polizei und Verfassungsschutz eine unterschiedliche Qualität in der Gewalt feststellen, dafür sprechen andere Zahlen des Berichts. Sogenannte „Gefährder“, also Terrorverdächtige, kennen die Behörden aus der linken Szene nicht. Rechts hingegen wird eine „niedrige einstellige Zahl“, bei den „religiös Motivierten“ gar „eine „niedrige zweistellige Zahl“ registriert. Auch die Justiz weiß zu unterscheiden: Gegen Straftaten aus der klar linken Szene gab es 2021 nur einen einzigen Haftbefehl – der bezog sich auf eine Beleidigung. Dagegen stehen 22 Haftbefehle gegen rechts, davon fünf aufgrund von Gewalttaten.

Bei den Grünen sorgt man sich dennoch, ob die Polizei rechte Straftaten mit dem gleichen Eifer verfolgt wie links assoziierte Kriminalität. Der Bürgerschaftsabgeordnete Wilko Zicht zählt aus dem Bericht 16 antisemitische, rassistische oder sonstige Hass-Straftaten auf, die später für die Justiz wichtig genug waren, um Anklage zu erheben – aber der Polizei zum Zeitpunkt der Tat keine Pressemitteilung wert. Darunter auch: eine Körperverletzung aufgrund der sexuellen Identität.

Bei einem rechten Brandanschlag auf ein Jugendzentrum sieht die Polizei keine Tötungsabsicht

Die Gefahr von links hingegen wurde in der näheren Vergangenheit stark hervorgehoben – und mit Konsequenzen bedacht: Nach politisch motivierten Brandanschlägen auf die Bremer Raumfahrfirma OHB zum Jahreswechsel hat die Polizei eine eigene Sonderkommission „Linksextremismus“ aufgelegt. Wie viele Po­li­zis­t*in­nen dort gebunden sind, und wo die Grenzen der Soko-Arbeit liegen sollen, kann die Polizei auch einige Monate nach der Entscheidung nicht kurzfristig sagen.

Bei einem Brandanschlag auf das Jugendzentrum „Friese“ 2020 hingegen wurde nur eine Ermittlergruppe eingerichtet. Tatverdächtige aus der rechten Szene sind mittlerweile bekannt. „Das war von den politisch motivierten Straftaten der letzten Jahre nach Lage der Dinge die krasseste und verabscheuungswürdigste“, meint die Grünen-Abgeordnete Kai Wargalla. „Das wollten wir mit unseren Fragen in Erinnerung rufen, weil man nicht immer den Eindruck hat, dass Öffentlichkeit und Strafverfolgungsbehörden dies auch so sehen.“

Bei dem Anschlag war während eines Konzerts, also bei vollem Haus, ein Feuer im Jugendzentrum gelegt worden – und das gleich zweimal, nachdem ein erster Brand entdeckt und gelöscht worden war. „Anhaltspunkte für ein versuchtes Tötungsdelikt bestehen nicht“, findet die Staatsanwaltschaft.