Arbeiten im Ausnahmezustand

Nach dem Beginn des Krieges mussten sich alle unabhängigen Medien in Russland der Zensur beu­gen. Das Überleben von Meduza hängt jetzt von der Unterstützung ihrer Leserinnen und Leser ab.

Foto: Donata Kindesperk

Dmitry Vachedin, wurde 1982 in St.Petersburg geboren. Seit 1999 lebt und arbeitet er in Deutschland. Vachedin hat Philologie und Politikwissenschaft in Mainz und Drehbuch an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg studiert. Danach berichtete er für die Deutsche Welle über russische Politik. Seit dem Jahr 2016 schreibt er von Berlin aus für Meduza.

Interview Erica Zingher

Ein Schock sei der 24. Februar, also der Beginn des erweiterten Krieges in der Ukraine, für die gesamte Meduza-Redaktion gewesen. So beschreibt es Journalist Dmitry Vachedin, 39, der seit 2016 Deutschlandkorrespondent des bis vor kurzem noch reichweitenstärksten unabhängigen russischsprachigen Online-Portals ist. Keiner ihrer Experten hatte den Krieg vorausgesagt oder für möglich gehalten. Als russische Streitkräfte die Grenze zur Ukraine in den frühen Morgenstunden überschritten, sei Vachedin aus dem Bett geklingelt worden. Seit diesem Tag arbeitet die Meduza-Redaktion im Ausnahmezustand.

Bis vor kurzem hatte Russland mehrere unabhängige Medienprojekte, darunter Projekt, The Bell oder 7x7. Meduza aber stach schon immer heraus, es ist das umfassendste und vielfältigste Portal, das kritischen und investigativen Onlinejournalismus macht. 2014 wurde das Nachrichtenmagazin von Redakteurinnen und Redakteuren der regierungskritischen Website Lenta.ru gegründet. Schon damals verlagerte Meduza aus Sicherheitsgründen ihren Hauptsitz in die lettische Hauptstadt Riga.

Für unabhängige Medien in Russland verschärfte sich die Lage nach den ersten Tagen des Ukraine-Krieges. Ende April erklärte das russische Justizministerium Meduza ohne Vorwarnungen zum „ausländischen Agenten“. Alle Veröffentlichungen mussten sie künftig mit dem Hinweis markieren: „Diese Nachricht wurde von einem ausländischen Massenmedium erstellt und (oder) verbreitet, das die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt.“ Auch ihre Werbekunden waren dazu aufgefordert, sonst drohten Geldstrafen bis hin zu Strafverfahren. Für die Redaktion war das eine dramatische Wende.

Während die journalistische Arbeit unter staatlichem Druck ganz normal weiterging, evakuierte die Meduza-Redaktion nach und nach alle in Russland verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, so erzählt es Vachedin der taz. Wer kein Visum für EU-Länder hatte, musste zunächst nach Tbilissi in Georgien oder Jerewan in Armenien ausreisen. Bis heute harren einige Redakteure dort aus. Andere wiederum emigrierten nach Riga, um vom lettischen Sitz der Meduza-Redaktion aus zu arbeiten.

Auch die letzten unabhängigen Medien in Russland mussten sich also Putins Zensur beugen, um weiter ohne politischen Druck berichten zu können. Wie es für Meduza weitergeht, wird gerade verhandelt. Die Redaktion sei dabei, über die weitere Ausrichtung des Mediums, über ihre Zukunft zu beraten, sagt Vachedin. Das Überleben von Meduza hängt jetzt von der Unterstützung ihrer Leserinnen und Leser ab. Denn das Medium wird in Russland komplett geblockt. Sanktionen des Westens blockieren außerdem die Zahlungen ihrer Unterstützer. Ein Crowdfunding-Projekt, initiiert von Krautreporter, sammelt aktuell finanzielle Hilfe. Auf dass die wichtige unabhängige Stimme von Meduza nicht verstummt.