Das Erinnern vergessen

Ein rechtsextremer Brandanschlag auf ein Heim für Geflüchtete war in Bremen 30 Jahre vergessen. Jetzt soll es wohl doch eine Gedenkplakette geben. Aber warum erst jetzt?

Es war Glück, dass das Zimmer, in dem der Molotowcocktail 1991 in einer Unterkunft in Bremen explodierte, gerade nicht belegt war Foto: Till Kraus/Unplash

Von Lotta Drügemöller

Bremen-Schwachhausen, die Nacht zum 3. Oktober 1991. Drei Jugendliche werfen einen Molotowcocktail durch ein Fenster des Heims für Geflüchtete, sofort fängt das Haus Feuer. 23 Menschen, darunter auch Kinder, sind in dieser Nacht im Heim. Es ist Glück, dass keiner der Be­woh­ne­r*in­nen schwer verletzt wird: Das Zimmer, in dem der Molotowcocktail explodiert, ist zufällig unbewohnt. Drei Menschen müssen von der Feuerwehr mit Atemschutzmasken aus dem brennenden Haus gerettet werden.

Die drei Täter, Jugendliche von 17 und 18 Jahren, werden später gefasst und verurteilt – zu Bewährungsstrafen. Eine gefestigte rechte Gesinnung oder ein Mordversuch wird ihnen nach dem Anschlag auf das belebte Heim nicht nachgewiesen. Danach geht der Bremer Anschlag einfach unter, 30 Jahre lang; in den Zeitungsarchiven könnte man etwas zu ihm finden – aber richtig öffentlich dokumentiert ist er nicht. Nicht bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, nicht beim Stadtteilparlament, dem Schwachhauser Beirat, nicht bei der Landeszentrale für politische Bildung.

Der Senat schreibt in seiner Antwort auf eine Anfrage der Linken im Juni nun zwar, man sei „bis heute erschüttert, dass ein solcher Brandanschlag in Bremen begangen wurde“, mehr spricht aber dafür, dass auch dort der Fall vergessen war: Die Gedenktage verstreichen einfach – während einer der Täter, Hannes Ostendorf, in der Naziszene aufsteigt und als Sänger der rechten Hooliganband „Kategorie C“ so etwas wie Karriere macht. „Der Fall wurde aus der Erinnerungskultur der Stadt Bremen getilgt“, meint André Aden von der „Mobilen Beratung gegen Rechts“.

Täter verurteilt, Fall abgehakt

Gerade scheint sich das zu ändern. Die Linke hat vor einigen Wochen eine Anfrage zu dem Anschlag gestellt, um wenigstens eine Gedenkplakette zu initiieren. Den Anfang gemacht hatte im vergangenen Jahr ein Netzwerk von Organisationen gegen rechts, die aus Anlass des 30. Jahrestages zu einer Podiumsdiskussion geladen hatten. „Uns war der Anschlag präsent, weil wir beim Monitoring zur rechten Szene auch die Vergangenheit im Blick haben und Kontinuitäten beobachten“, sagt Aden. Was ein Szenesänger 1991 gemacht hat, ist auch für die Gegenwart noch relevant.

Warum des Falls nicht früher gedacht wurde? Bei der Landeszentrale für politische Bildung glaubt man, dass auch der Gerichtsprozess dazu beigetragen haben könnte: „Weil man die Täter erwischt und verurteilt hat, hielt man die Sache vielleicht einfach für erledigt, für abgehakt“, vermutet Amtsleiter Thomas Köcher.

„Es war ein lebensgefährlicher Anschlag – aber es ist am Ende eben nichts passiert“, sagt Werner Wick, Sprecher des Kultursenators Andreas Boven­schulte (SPD), der damals, 1991, gerade in die Bremer Verwaltung eintrat und sich noch dunkel erinnert. „Vor den anderen Anschlägen in dem Jahr ging das dann vielleicht ein bisschen unter.“

Die „anderen Anschläge“ bilden tatsächlich eine erschreckende Liste: Auf Wikipedia sind für das Jahr in ganz Deutschland 44 Angriffe auf Geflüchtetenheime dokumentiert – von zerbrochenen Fensterscheiben bis hin zu „100 Randalierer brennen ein Flüchtlingsheim nieder“. Der Bremer Anschlag fehlt auch hier; nur ein Fall aus Nordrhein-Westfalen ist vermerkt, alle anderen stammen aus den neuen Bundesländern.

Das zeigt den geografischen Schwerpunkt des rechten Terrors in den frühen Neunzigern; es zeigt aber auch die Dokumentationslücken. Die Anschläge im Osten wurden in mehreren Büchern analysiert und zusammengetragen, Vorfälle in Westdeutschland passten nicht ins Analyseraster.

Die heutige Schwachhauser Beiratssprecherin Gudrun Eickelberg hat schon damals in der Nähe des Anschlags gewohnt und weiß noch, dass der Schock in dem bürgerlichen Stadtteil groß war. „Man wusste, dass so was in Rostock passiert. Aber in Bremen? Das galt ja eher als tolerant und weltoffen.“ Dunkel erinnert sie sich an Banner mit Solidaritätsbekundungen vor dem abgebrannten Heim. „Aber es gab auch noch eine andere Stimmung“, erzählt sie, „in etwa: ,Schlimm, dass das passiert ist, aber auch gut, dass das Heim jetzt weg ist. Ein Problem weniger.‘ Ich glaube“, ergänzt sie noch, „wenn das heute passiert wäre, würde der Fall stärker im Bewusstsein bleiben.“

Taten können nicht mehr verloren gehen

Genau da hat André Aden seine Zweifel. Er findet, es sei symptomatisch, dass Vorfälle dieser Art in Bremen nicht in der Erinnerung gehalten werden: „Es gibt keine erinnerungspolitischen Konzepte für so etwas“, kritisiert er. „Die Anschläge passen nicht ins Selbstbild der Stadt.“ Auch von 2015 bis 2018 haben mehrere Anschläge auf Geflüchtetenheime in Bremen stattgefunden – freilich nicht komplett vergleichbar, da sie sich jeweils gegen unbewohnte Einrichtungen gerichtet hatten. „Aber das sind Botschaftstaten: Die Täter setzen damit ein Zeichen. Und diejenigen, die eigentlich später einziehen sollen, verstehen das und bekommen Angst“, sagt Aden. „Nach solchen Vorfällen kann man nicht einfach zur Normalität zurückkehren.“

Seit 2019 immerhin sammelt die Beratungsstelle Soliport auf der Seite „Keine Randnotiz“ rechte, rassistische oder antisemitische Straftaten in Bremen; auf einer Karte sind die einzelnen Vorfälle bis in den Januar 2017 einsehbar. Ganz verloren gehen können die rechten Taten so nicht mehr – eine Priorisierung findet allerdings nicht statt. Wer besonders erinnerungswürdige Vorfälle sucht, muss sich derzeit durch viele gemeldete Hakenkreuzschmierereien und Anti-Antifa-Aufkleber suchen.

Zumindest eine Gedenktafel könnte jetzt kommen. „Die Antwort des Senats hat ja durchaus Hoffnung gemacht, dass wir zumindest eine Plakette, vielleicht auch etwas mehr erreichen“, sagt Miriam Strunge (Linke), die die Anfrage für ihre Fraktion eingebracht hat. Möglichst schon zum nächsten Jahrestag am 3. Oktober solle etwas vorhanden sein.

„Es ist gut, wenn das Thema jetzt über Beirat und Bürgerschaft wieder in der Diskussion auftaucht“, sagt Köcher von der Landeszentrale für politische Bildung. „Die Anschlagsserie aus den frühen Neunzigern war bei uns in Bremen noch nicht verortet. Wenn jetzt die Sensibilität dafür wächst, ist das auch die Chance zu fragen, ob und wie die Gefahren von damals weiter bestehen.“