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Schleichende Abkehr von der Sozialpartnerschaft

Die Verbreitung von Betriebsräten ist heute deutlich geringer als noch Anfang der 2000er-Jahre. Und die Geg­ne­r:in­nen der Mitbestimmung agieren immer professioneller

Von Selma Hornbacher-Schönleber

Gewerkschaften und Betriebsräte klagen immer häufiger über großen Widerstand von Seiten der Unternehmensführungen – und zwar trotz umfangreicher Mitbestimmungsrechte. Das Phänomen tritt so systematisch auf, dass es sich mittlerweile als „Union Busting“ in der gesellschaftlichen Debatte etabliert hat, was sich als „Zerschlagung von Gewerkschaften“ übersetzen lässt.

Der englische Begriff passt aber nicht ganz in den hiesigen Kontext: In der Bundesrepublik wird zwischen gewerkschaftlicher und innerbetrieblicher Mitbestimmung, also Betriebsräten, unterschieden. Zum Ziel von Union Busting werden sie beide, auch in Bremen. Öffentlich geworden sind etwa die Fälle der Betriebsratsvorsitzenden Nicole Meyer, die sich monatelang einen Prozess mit dem notorisch mitbestimmungsfeindlichen Pflegeunternehmen Orpea liefern musste, zu dem auch die norddeutsche „Residenz-Gruppe“ gehört. Oder der Fall des Technikdienstleisters Spie, der Betriebsratswahlen nicht anerkennen will – der Konzern beschäftigt nach Gewerkschaftsangaben etwa 1.400 Menschen an 30 Standorten.

Die Verbreitung von Betriebsräten ist heute deutlich geringer als noch Anfang der 2000er-Jahre, sagt das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zumindest bis etwa Mitte der 2010er-Jahre sei ein schleichender Erosionsprozess zu beobachten. Schätzungen zufolge haben nur neun Prozent der wahlberechtigten Betriebe, also alle ab einer Belegschaftsgröße von fünf Angestellten, einen Betriebsrat. Der Anteil der Beschäftigten, die in den Genuss der betrieblichen Mitbestimmung kommen, sank im Westen seit Mitte der 1990er-Jahre von 51 auf heute 42 Prozent, im Osten von 43 auf 35 Prozent. Die Bedeutung von Betriebsräten gehe vor allem in kleinen und mittleren Betrieben stark zurück, so das IAB. Belastbare Zahlen gibt es aber nicht: „Das ist ein großer Teil des Problems“, erklärt Elmar Wigand, Sprecher des Kölner Vereins „Aktion gegen Arbeitsunrecht“. Er fordert deshalb ein verpflichtendes Melderegister für Betriebsräte und Betriebsratswahlen nach US-amerikanischem Vorbild. Nur so lasse sich das Ausmaß von Mitbestimmungsfeindlichkeit überhaupt erfassen.

Betriebliche Mitbestimmung war immer umkämpft. „Aber zwischenzeitlich haben wir uns auf sichererem Niveau bewegt“, sagt der Soziologe Oliver Thünken. Dass Betriebsräte so oft behindert würden, deute auf Brüche im sozialpartnerschaftlichen Modell hin, in dem Beschäftigte ein Mitspracherecht haben. Dies sei kaum vereinbar mit der gesellschaftlichen Erzählung einer sozialen Marktwirtschaft, auf die man in Deutschland so stolz sei. Um diese Brüche sichtbar zu machen „gilt es, immer wieder den Finger in die Wunde zu legen“.

Bereits der Wahlprozess von Betriebsräten treffe oft auf den Widerstand der Unternehmen, erklärt Anja Feist von der Arbeitnehmerkammer Bremen. Lohnkürzungen, Mobbing, Kündigungen: Die Liste der Maßnahmen ist lang. Wenn das immer und immer wieder passiere, sei das ein starkes Indiz für ein absichtliches und systematisches Vorgehen. „Dabei geht es einfach um Zermürbung. Die Betriebsräte sollen irgendwann entnervt aufgeben.“ Besonders das Informationsrecht des Betriebsrats, zum Beispiel über die Einführung neuer Firmensoftware, werde oft schlicht ignoriert, so Feist, die Ver­tre­te­r:in­nen stattdessen vor vollendete Tatsachen gestellt.

Kein Wunder, dass man versucht, die Betriebsräte auszubooten – schließlich sind sie es, die Widerstand bündeln können. „Ein Betriebsrat oder eine Mitarbeitervertretung machen Beschäftigte erst ausdrucks- und handlungsfähig“, sagt der Bremer „Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt“. Die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland ist rechtlich geschützt, zumindest auf dem Papier. Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes untersagt ausdrücklich die Behinderung von Betriebsräten. Das Problem: Verstöße werden erst auf Antrag verfolgt. Den eigenen Arbeitgeber zu verklagen, trauen sich aber nur wenige, so Feist.

Die neue Vehemenz des Union Busting ist auch auf seine Professionalisierung zurückzuführen. Unternehmensberatungen und Anwaltskanzleien wie „Dr. Schreiner + Partner“ sind auf die Auseinandersetzung mit Betriebsräten spezialisiert. Die bundesweit aktive Kanzlei bietet Seminare unter dem Titel „Grenzen der Mitbestimmung“ oder „Effektive Strategien im Umgang mit schwierigen Betriebsräten“ und „Die Kündigung und der Umgang mit ‚Low Performern‘“ an.

„Dabei geht es einfach um Zermürbung“

Anja Feist, Arbeitnehmerkammer Bremen

„Da versucht man, Gerichtsprozesse zu provozieren“, so Rainer Reising, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender bei der Logistikfirma Syncreon. Ziel sei es, Aktive zu zermürben und einzuschüchtern. Anders als im Gesetz angenommen, herrsche dabei vor Gericht keine „Waffengleichheit“: Die Ressourcen und vor allem die psychische Belastung seien massiv ungleich verteilt.

Zudem hindern aufwendige Gerichtsprozesse Betriebsräte oft daran, ihre eigentliche Aufgabe als Interessenvertretung der Beschäftigten zu erfüllen. Soziologe Thünken hält deshalb einen engen Kontakt zur Belegschaft für essenziell, genauso wie einen erfahrenen Rechtsbeistand – auch bei klarer Gesetzeslage. Zusätzlich müssen Betroffene sich Unterstützung einholen: „Gerade von Gewerkschaften.“

Auch der ehemalige Betriebsrat Reising ist sich sicher: „Ohne die Gewerkschaft geht es nicht.“ Er ist Mitglied der IG Metall und von Ver.di und berät nebenberuflich betroffene Betriebsräte. Er habe schon einiges erlebt, nur eines nicht: „eine tatsächlich vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Seiner Meinung nach braucht es klarere Gesetze. Das Betriebsrätestärkungsgesetzvon 2021, das arbeitgeberseitige Behinderungen erschweren soll, sei ein guter Anfang, lasse aber zu viele Schlupflöcher in veralteten Regulierungen offen. „Die Arbeitswelt ist dynamisch, das Betriebsverfassungsgesetz nicht.“

Auch Anja Feist hofft deshalb auf eine von Arbeitsminister Heil im Januar angekündigte Gesetzesänderung. Noch ist nichts beschlossen. Sollte die Reform aber umgesetzt werden, müssten Strafverfolgungsbehörden schon bei Verdacht auf Betriebsratsbehinderung ermitteln. Eine Anzeige vonseiten der Geschädigten wäre dann nicht mehr nötig. Das Gesetz allein werde allerdings nicht ausreichen, erklärt Feist. „Es braucht auch Leute, die es umsetzen wollen und können.“