Ein leises Knistern

Jean-Pierre Fleury hat ein Faible für das nur fast, aber nicht ganz Perfekte. Vor fünfzehn Jahren baute er als erster Winzer der Welt biodynamischen Champagner an

VON KATHRIN SCHRADER

Jean-Pierre Fleury ist gern in Berlin. In Berlin kann er ungestört Coca-Cola trinken. Hier erkennt ihn niemand.

Sein Heimatdorf Courteron in der Champagne ist so klein, dass es unten an der Hauptstraße, die sich durch das Tal der Seine schlängelt, nicht einmal einen Wegweiser gibt. Dort kennt ihn jeder. Hier trinkt der 59-Jährige keine Cola. Auch nicht in Paris. Paris ist größer als Courteron, aber es laufen genügend Leute durch Paris, die ihn erwischen könnten. Er findet, dass es sich für einen Winzer der Champagne nicht geziemt, Cola zu trinken. Es kann seinem Ansehen schaden. Jean-Pierre Fleury mag Berlin auch, weil es so grün ist. Viel grüner als Paris. Er freut sich an dem kleinen Garten hinter dem Hotel in Prenzlauer Berg. Er ist jemand, der gern lacht. Es ist, als kreisten Champagnerperlen durch seinen Organismus.

Fleury ist zu Gast bei Bio-Lüske, einem großen Biomarkt in Berlin-Lichterfelde. Der Laden war früher mal ein Kino. Im ehemaligen ersten Rang finden heute Kochkurse statt. Fleury sitzt in der vorletzten Reihe. Er schaut hinab auf die Kochschüler, die in der Küche vor der Balustrade ein mediterranes Menü zubereiten. Zu seinen Füßen knistert leise ein Glas Champagner.

Vor fünfzehn Jahren stellte Fleury den ersten Biochampagner der Welt her. Damals eine kleine Revolution. Ein Mann wie Jean-Pierre Fleury sollte geeignet sein, kritisch über die aktuelle Situation in der Champagne zu berichten. Er weiß, was synthetische Dünger und Pestizide dem feingliedrigen kalk- und tonhaltigen Boden, dem Terroir, dem Kapital der Champagne, angetan haben. Er könnte berichten, wie der scheinbar unerschütterliche Ruf des legendären Schaumweins unter Aldi & Co. litt, unter dem unausgesprochenen Vermarktungsmotto „Hauptsache viel, Hauptsache billig.“

Monsieur Fleury, wie ist das denn nun mit dem Biochampagner …? „Es gibt verschiedene Methoden, Wein anzubauen. Da ist der konventionelle Weinbau, der biologische und schließlich der biologisch-dynamische Anbau nach den Demeter-Richtlinien.“ Keine Wertung. Keine Kritik. Stattdessen dieses freundliche Lächeln. Er sitzt aufrecht in einem futuristischen Plastikstuhl. In diesem Moment ist er gänzlich in der Rolle des Champagner-Botschafters. Die Schattenseiten der Champagne bleiben so unerwähnt wie seine stille Passion für Coca-Cola.

Ja, aber ist es denn nicht so, dass die Weinstöcke am chemischen Tropf hängen? Ist nicht mancher Champagner nur noch eine helle Plörre, die prickelt? Haben Sie nicht deswegen damals …?

Monsieur hebt die Augenbrauen. Klar hat er sich Gedanken um den Boden gemacht, den er seinen Kindern und Enkeln eines Tages hinterlassen würde. Natürlich ist er froh, eine Alternative gefunden zu haben.

„Eine Zeit lang haben viele Winzer sehr ertragreiche Sorten angebaut“, beginnt er schließlich zu erzählen. „Die Qualität und der Ruf des Champagners haben darunter gelitten. Deswegen legt der Berufsverband der Champagnerwinzer seit fünf Jahren jedes Jahr aufs Neue fest, wie viel Kilo Trauben pro Hektar geerntet werden dürfen. Der Rest muss an den Rebstöcken hängen bleiben.“

15.000 Winzer gibt es in der Champagne. Im letzten Jahr verkauften sie insgesamt 300 Millionen Flaschen. Sechzig Prozent werden allein in Frankreich getrunken.

Um den Boden und die Pflanzen zu schonen, plädiert der Verband seit fünf Jahren für den so genannten integrierten Anbau. Das bedeutet, dass jeder Winzer so wenig Düngemittel, Insektizide und Pestizide einsetzen sollte wie irgend möglich. Um dieses Ziel zu erreichen, nutzt man unter anderem Computersimulationen. Kurz nach der Blüte im Juni werden Prognosen für den Verlauf des Jahres gestellt, nach denen ein Weinbauer die Behandlung der Reben bis zur Ernte planen kann.

Die jungen Winzer sind meist schon durch das Studium am integrierten Anbau orientiert und setzen ihn gern um. Doch ist der vom Verband geförderte integrierte Anbau keine Pflicht. Nicht alle Winzer sind dafür zu begeistern.

„Kaufen Sie niemals Champagner im Supermarkt“, rät Hendrik Canis, Chef- Sommelier des Berliner Spitzenrestaurants VAU. „Bleiben Sie misstrauisch gegen ‚billigen‘ Champagner.“ Jean-Pierre Fleury gibt sich diplomatisch und optimistisch: „Es gab schlechten Champagner. Das ist vorbei.“

Den eigenen Champagner entdeckt man oft über ein Gespräch, beim Winzer oder in einem guten Fachgeschäft. Sowieso ist es unmöglich, alle Champagner kennen zu lernen, da viele nicht in den Handel kommen, sondern direkt an die Gastronomie oder an Privatkunden verkauft werden.

Jean-Pierre Fleury kennt viele seiner Kunden persönlich, zum Beispiel den Designer Philippe Starck. Er findet das wichtig. „Es ist die Energie der Begegnung, die im Glas mitschwingt“, meint er.

Damals, als er den Weinberg von seinem Vater übernahm, als er eine Möglichkeit suchte, den Boden zu heilen, entdeckte er das Hornkieselpräparat. Es besteht aus Silizium, dem Stoff, der in Kiesel, Sand, Feuer und Edelsteinen vorkommt und ein Hauptbestandteil der Erdkruste ist. In der Anthroposophie gilt Silizium als Medium des Lichts und der Wärme, auch der Intelligenz und Fantasie. „Das Silizium“, sagt Fleury, „hat den Menschen immer begleitet, vom ersten Faustkeil aus Feuerstein bis zum Quarzchip im Computer. Das Silizium gibt den Pflanzen die kosmische Energie zurück. Chemische Dünger und Pestizide sind wie ein Schleier, der diese Energie abschirmt.“

Der Winzer Fleury zerreibt Bergkristalle. Er dynamisiert sie. Er verrührt sie eine Stunde lang in einer Tonne Wasser. Den homöopathischen Dünger sprüht er auf seine Pflanzen. Er stopft Kuhmist in ein Kuhhorn und vergräbt es über den Winter im Boden des Weinbergs.

Jean-Pierre Fleury wurde belächelt. Die Nachbarn hielten ihn für einen Spinner. Die ersten Ernten nach der Umstellung gingen weitgehend verloren. Heute, fünfzehn Jahre später, arbeiten zwei seiner Nachbarn ebenfalls nach biologisch-dynamischen Methoden. Fleury ist ein gefragter Mentor geworden. Immer mehr Weinbauern stellen ihren Anbau um. Praktikanten aus ganz Frankreich kommen nach Courteron, um von Fleury zu lernen.

„Die Gründe, warum sie umstellen, sind ganz unterschiedlich“, sagt Fleury. „Einige sind vom Resultat überzeugt. Sie schmecken die Rückkehr des Terroir. Andere treibt ökologisches Bewusstsein zum Umdenken.“ Noch sind Biowinzer in der Champagne die Ausnahme. Von den 300 Millionen verkauften Flaschen im letzten Jahr stammt gerade mal ein Prozent aus biologischem Anbau – aber auch das sind immerhin drei Millionen Flaschen.

Unten an der Balustrade bei Bio-Lüske in Berlin haben inzwischen die Kochschüler an der langen Tafel Platz genommen. Wein wird eingeschenkt. Sie falten die Servietten auseinander. Fleury gießt sich ein Glas Champagner nach. Es knistert. Je nach Licht schimmert sein Champagner „Carte Rouge Fleury“ im Glas orange oder lachsfarben. Ein satter Ton, wie kupferlegiertes Gold.

In Courteron, nahe der Bourgogne, wird traditionell Pinot Noir angebaut. Die Schalen der frischen roten Traube rutschen manchmal durch die Presse und verdunkeln das klassische Weißgold des Champagners. Konventionell arbeitende Winzer setzen aus diesem Grund ein Bleichmittel ein.

Fleury lässt die Verfärbung zu. Ein eigensinniger Bruch in der Tradition des Luxus. Ein Zugeständnis, nein, mehr noch: eine Liebeserklärung an die Unvollkommenheit des Originals.

KATHRIN SCHRADER, 39, lebt als freie Journalistin in Berlin