KOMMENTAR VON TOM STROHSCHNEIDER
: Abschied von Gysi und Lafontaine

Die Neuen verkörpern weder die IG-Metall-Kultur noch das Funktionärstum der PDS

Mit dem neuen Führungsduo Katja Kipping und Bernd Riexinger geht die Gründungsgeschichte der gemeinsamen Linkspartei zu Ende. Symbolisch vollzogen ist die Zäsur im Bruch zwischen Gregor Gysi und Oskar Lafontaine; praktisch in der Wahl einer Doppelspitze, die auf anderen Traditionen gründet als die bisherigen.

Die neuen Vorsitzenden sind grüner und sozial bewegter. Die Partei wird in Zukunft von zwei Politikern repräsentiert, die ihre Wurzeln weder in der SPD haben noch zu denen gehören, die sich aus der SED heraus auf den reformsozialistischen Weg machten. Sowenig Riexinger aus der IG-Metall-Kultur stammt, so wenig verkörpert Kipping das typische PDS-Funktionärstum.

Die sächsische Bundestagsabgeordnete gehörte zu denen, die schon vor Jahren für eine Öffnung in das grüne Spektrum warben; in ihrem Umfeld wird seit Langem darauf gedrängt, die Partei aus der strategischen Fixierung auf die SPD zu lösen. Riexinger hat als Gewerkschaftslinker im Südwesten das Bündnis mit sozialen Bewegungen schon zu Zeiten gesucht, als andere noch nicht einmal aus der SPD ausgetreten waren; der Ver.di-Mann war gar nicht erst drin.

Das allein macht natürlich noch keinen Neuanfang. Und völlig offen ist, ob sich die Neuen im Karl-Liebknecht-Haus von den machtpolitischen Voraussetzungen in der Partei emanzipieren können, ohne die sie auf den Chefsesseln der Linken nicht hätten Platz nehmen können. Wer von Strömungen gewählt wird, gerät schnell in ihren Strudel. Das wird Kipping, die bei den Gewerkschaftern mit Argwohn beobachtete Anhängerin eines bedingungslosen Grundeinkommens, genauso zu spüren bekommen wie Riexinger, der im mitgliederstarken Osten nun als Bartsch-Verhinderer gilt. Hinzu kommt: Riexinger ist weitgehend unbekannt, Kipping genießt zwar als Sozialpolitikerin Anerkennung, ist aber auch keine geborene Spitzenkandidatin.

Hier liegt die größte Schwäche der neuen Doppelspitze, aber auch ihre größte Chance. Wenn es im kommenden Jahr in Niedersachsen und im Bund für die Linkspartei um alles geht, werden Kipping und Riexinger die Last auf viele Schultern verteilen müssen. Das schafft Raum für die Integration der verschiedenen Lager, und es würde die Linke aus der Abhängigkeit von den großen Übervätern befreien. Die Zeit der Gysis und Lafontaines ist in Göttingen abgelaufen.