„Die Energiewende tut bitter Not“

INTERVIEW NICK REIMER

taz: Herr Paziorek, kennen Sie die CDAK?

Peter Paziorek: Ist das was von der CDU?

Ja, das sind die Christlichen Demokraten gegen Atomkraft.

Ah, die sind das. Mit denen würde ich gern mal Kontakt aufnehmen.

Dafür hätten Sie jetzt einen guten Anlass. Die CDAK hat gerade einen Aufruf gestartet: „Aus christlicher Verantwortung heraus die nukleare Geisterfahrt beenden!“

Sie spielen jetzt auf die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke an. Keine Sorge, eine „Geisterfahrt“ wird es mit einer Kanzlerin Angela Merkel nicht geben. In der Union ist unbestritten, dass Verlängerungen nur auf höchstem Sicherheitsniveau und neuestem technischen Stand genehmigt werden.

Heißt das, Konzerne, die ihr Atomkraftwerk länger laufen lassen wollen, müssten erst mal kräftig investieren?

Das ist nicht ausgeschlossen. Ich glaube, wir haben in Deutschland derzeit das weltweit höchste Sicherheitsniveau. Ich bin aber kein Experte. Deshalb brauchen wir vor einer Laufzeitdebatte erst einmal eine Sicherheitsdebatte.

Das sieht Ihre Kanzlerkandidatin aber anders. Sie hat sich schon auf längere Laufzeiten festgelegt.

Angela Merkel hat gesagt, wir brauchen eine Energiewende. Die ist bitter nötig: Die rot-grüne Energiepolitik hat zu so hohen Stromkosten geführt, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Und Frau Merkel hat gesagt, dass innerhalb dieser Energiewende längere Laufzeiten der Kernkraftwerke denkbar sind.

Was muss sich denn wenden?

Wir brauchen erstens ein Energiekonzept, das der Wirtschaft einen verlässlichen Rahmen für die nächsten zwanzig Jahre bietet. Deutschlands Kraftwerkspark steht vor einem gewaltigen Investitionsbedarf. Wir brauchen zweitens eine Antwort auf die Frage, wie hoch mittelfristig der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix sein soll. Und drittens sind Rahmenbedingungen unerlässlich, die die Energiepreise wieder sinken lassen. Nur wenn die sinken, wird Deutschland einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben.

Die CDU verspricht dem Wähler sinkende Energiepreise?

Die Union will sinkende Energiepreise. Um dies zu realisieren, ist die zentrale Aufgabe, mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt zu organisieren. Den Anfang dafür haben wir schon jetzt gemacht: Das Energiewirtschaftsgesetz, das wir mit der Regierung noch in dieser Legislatur auf den Weg bringen, trägt eine klare CDU-Handschrift. Wir haben durchgesetzt, dass von Anbietern geplante Preiserhöhungen vorab genehmigt werden müssen – nicht im Nachgang, wie von Rot-Grün favorisiert.

Zweitens: Wenn wir abgeschriebene Kernkraftwerke eine Übergangszeit lang weiter laufen lassen, hilft das kalkulatorisch, den Preis zu senken. Andererseits schafft das für die Stromkonzerne Platz für Investitionen in erneuerbare Energien. Das hat den Vorteil, dass der Ausbau der Erneuerbaren nicht mehr ausschließlich über einen Aufpreis finanziert werden muss – und senkt die Energiekosten merklich.

Ihr Parteifreund, Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger, schlägt vor, die Atomkonzerne zu verpflichten, 50 Prozent ihres Gewinns aus einer Laufzeitverlängerung in regenerative Quellen zu investieren. Was halten Sie davon?

Diesen Vorschlag habe ich vom Grundsatz her schon vor einem Jahr gemacht. Neu ist allerdings das Quorum von 50 Prozent. Ich glaube nicht, dass ein solch hoher Prozentsatz sinnvoll ist. Das nämlich nimmt wieder einiges von dem Spielraum, mit dem wir die Energiekosten senken können. Klar ist aber: Eine wirtschaftliche Entlastung der Stromkonzerne muss zu mehr Freundlichkeit gegenüber den erneuerbaren Energien führen.

Nun hat der Verband der Elektrizitätswirtschaft auf seiner Jahrestagung ganz andere Vorstellungen zum Ausbau grünen Stroms vorgetragen: das so genannte Quotenmodell. Was halten Sie davon?

Mich überzeugt das nicht. Im Kern sieht das Modell vor, den Ausbau über Marktmechanismen voranzubringen: Die Regierung gibt ein Ziel vor und überlässt der Industrie, wie sie das erreicht. Das Hauptproblem ist, dass jeder Anbieter erneuerbarer Energie selbst als Verkäufer agieren, sich einen Abnehmer seiner Energie suchen muss. Der Bauer muss also mit den Energieversorgern verhandeln, was ich mir schon schwierig vorstelle. Ich befürchte, das Quotenmodell wird regenerative Teilbereiche – etwa die Biomasse – benachteiligen, andere aber, die technologisch schon sehr weit sind, bevorteilen, etwa die Windenergie. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

Heißt das: Mit der CDU wird es kein Quotenmodell geben?

So klar kann ich das nicht sagen. Wie Sie wissen, sind wir gerade mitten in der Programmdebatte. Ich kann nur für die Umweltpolitiker der CDU und für mich selbst sprechen: Wir wollen das Quotenmodell nicht.

Das klingt fast wie bei der SPD: Umweltpolitiker wie Hermann Scheer oder Michael Müller hatten hehre Ansätze, sind dann aber oft am Wirtschaftsflügel gescheitert.

Also bislang haben wir es in der Union immer geschafft, zwischen dem Wirtschaftsflügel und dem Umweltflügel einen Kompromiss herzustellen.

Wie bitte? Bei der Wahl 2002 hatte die CDU doch gar keinen Umweltflügel.

Die Umweltpolitik hatte im CDU-Wahlkampf 2002 nicht den Stellenwert, den sie hätte haben müssen. Und das ist uns nach der Elbeflut ja auf die Füße gefallen. Ich teile nämlich nicht den Befund diverser Meinungsforscher, die sagen: Schröder hat wegen seines Managements, wegen seines Auftretens als „Kümmerer“ die Wahl gewonnen. Ich glaube, die Menschen haben tatsächlich großes Interesse an einer gesunden Umwelt und am Verhindern einer Klimakatastrophe. Und das wird sich diesmal auch im Wahlprogramm der CDU widerspiegeln.

Gut, nehmen wir den Umweltflügel der Union ernst. Wie viel Prozent regenerative Energie will die CDU 2010 erreichen?

Als Umweltpolitiker werde ich darauf drängen, dass eine CDU-geführte Bundesregierung im Jahre 2010 12,5 Prozent Strom aus regenerativen Quellen gewinnt …

was exakt dem rot-grünen Ziel entspricht.

Stimmt. Aber anders als Rot-Grün sagen wir: Wir müssen uns im Jahr 2009 Gedanken machen, welches Ausbauziel wir verfolgen. Sich heute schon wie Rot-Grün ein Ziel für 2020 vorzunehmen, ist falsch. Lasst uns doch erst mal den Weg gehen und sehen, was praktisch möglich ist.

Was wird aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz unter einer Kanzlerin Merkel?

Ich kann derzeit weder eine Aussage machen, was ins Wahlprogramm geschrieben wird – da müssen sie sich bis zum 11. Juli gedulden. Noch kann ich natürlich absehen, was bei Koalitionsverhandlungen zum Thema rauskommt. Beschlusslage der Partei aber ist, dass eine Überprüfung des Gesetzes nicht überstürzt wird. Bis 2007 läuft es jetzt, und wir werden erst kurz vor Auslaufen über eine Anschlussregelung entscheiden. In jedem Fall wird es für alle bis dahin gebauten Anlagen einen Bestandsschutz geben.

Sprich: Momentan ist bei der CDU noch gar nichts klar. Schröders Kalkül, die Union programmatisch schwach aussehen zu lassen, scheint aufzugehen.

Seien Sie sicher: Wir werden am 11. Juli programmatisch solide im Umweltbereich aufgestellt sein.

Welche Rolle spielt Angela Merkels Vergangenheit als Umweltministerin?

Frau Merkel hat in allen Gesprächen nicht nur durch große Sachkunde geglänzt, sie leitet aus den Umweltthemen auch die Zukunftsfähigkeit der Union ab. Das hilft uns Umweltpolitikern natürlich.

Europa fällt im Kioto-Prozess zurück, und auch Deutschland tat sich zuletzt beim Klimaschutz schwer. Was will der Umweltpolitiker Paziorek?

Uns fehlen noch zweieinhalb Prozent CO2-Reduktion zum Kioto-Ziel. Die werden wir nur schaffen, wenn sich die Wirtschaft mehr engagiert. Deshalb wollen wir eine Vereinbarung mit der Industrie darüber, wie wir das erreichen – entweder über politische Rahmen, die wir vorgeben, oder über eine Selbstverpflichtung.

Kraft-Wärme-Koppelung, Verbändevereinbarung Gas, Verbändevereinbarung Strom – die letzten Selbstverpflichtungen, die die Regierung Schröder der Stromwirtschaft zubilligte, sind alle gescheitert. Warum soll das unter Merkel anders sein?

Selbstverpflichtungen sind für mich nicht nur die bloße Absichtserklärung. Sie müssen eingebettet sein in ein gesamtgesellschaftliches und wirtschaftspolitisches Konzept. Das ist der erste Fehler, den Rot-Grün gemacht hat: Weil diese Konzepte fehlen, konnte die Wirtschaft ihre selbst erklärten Ziele nicht umsetzen. Zweitens braucht man zu diesen Selbstverpflichtungen klar definierte Monitoring-Verfahren, die aufzeigen, was passiert, wenn Zusagen nicht eingehalten werden.

Sie sind Mitglied im Bundesverband Erneuerbare Energie. Wann treten Sie aus?

Warum sollten ich?

Sie werden als neuer Bundesumweltminister gehandelt. Beides geht ja schlecht.

An Personaldebatten beteilige ich mich prinzipiell nicht.

Anders gefragt: Was muss der nächste Umweltminister vorrangig leisten?

Ich glaube, wir müssen die Naturschutzpolitik in Deutschland reanimieren. Wir müssen den Naturschutzverbänden – insbesondere an der innerdeutschen Grenze – Flächen übereignen, damit sie uns zeigen, wie man sinnvoll Naturschutzpolitik umsetzt. Wir müssen zweitens eine Klima-Allianz schaffen: Länder, Gewerkschaften, Kirchen, Industrie müssen sich überlegen, wie wir anspruchsvolle Klimapolitik über Kioto hinaus betreiben. Drittens will ich einen Umweltpakt mit der Wirtschaft schließen. Denn das ist mein Vorwurf an Jürgen Trittin: Umweltpolitik kann man nur mit den Akteuren umsetzen, nicht gegen sie. Und schließlich: Wir brauchen die Energiewende.