Die Bewegung bleibt

Der Oranienplatz stand für Schutz und Sichtbarkeit, es war außerdem ein Ort der Politisierung und Solidarität. Drei der damaligen Be­set­ze­r*in­nen erinnern sich

Flüchtlinge am Protestcamp am Kreuzberger Oranienplatz Ende November 2013 Foto: Björn Kietzmann

Protokolle Susanne Memarnia
und Plutonia Plarre

„Der Oranienplatz hat mich stark politisiert“

Ich war sowohl bei der Besetzung des Oranienplatzes dabei als auch bei der Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße. Das war kurz danach, im Winter 2012. In der Schule haben wir eine Etage nur für Frauen geschlossen. Das war eine Besetzung innerhalb einer Besetzung und gleichzeitig die Geburtsstunde des International Women* Space. In der Manteuffelstraße in Kreuzberg haben wir unser Büro. Wir sind eine feministische, antirassistische Gruppe, die aus geflüchteten Frauen, Migrantinnen und Nichtmigrantinnen besteht. Wir kämpfen gegen das Patriarchat, dokumentieren Rassismus, Sexismus und alle Arten von Diskriminierung.

Ich komme aus Kenia. Meine zwei Kinder und Enkelkinder leben dort. Ja, ich bin schon doppelte Großmutter! Mir geht es gut. Ich habe eine permanente Aufenthaltserlaubnis, Arbeit und Wohnung. Ich bin Referentin für Migrationsthemen, meine politische Mission ist auch mein Broterwerb.

Der Oranienplatz hat mich ungemein politisiert, aber ich war schon politisch, als ich nach Europa geflohen bin. Ich glaube, jede Frau, die ihr Land verlässt, tut das aus politischen Gründen.

Wir haben aus dieser Besetzungszeit alles herausgeholt, was möglich war. Aus einer ­Limone haben wir Limonensaft gemacht.

Die Bewegung war der Motor für alles, was danach gekommen ist. Das Bewusstsein des anti-Schwarzen Rassismus geht darauf zurück und auch unsere Arbeit mit den Ukraine-Geflüchteten.

Wir setzen uns für unsere Community ein. Wir tragen Verantwortung für sie, das zeigen unsere Projekte. Etwa das Radionetzwerk „We are born free“: Fünfzehn Podcasts haben wir inzwischen gemacht. Oder die Initiative CUSBU (Communities Support für BiPoC Refugees from Ukranie), die wir nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine gegründet haben. Wir kümmern uns um Schwarze und People of Colour, die bei der Flucht an der Grenze und in den Zügen Rassismus erfahren haben.

Ich bin froh, dass Angela Davis zu unserer 10-Jahresfeier kommt. Davis bedeutet uns viel. Sie hat das Statement geprägt, das uns leitet: Das Refugee- Movement ist die Bewegung des 21. Jahrhunderts. Der Oranienplatz hat für uns große Symbolkraft. Jede Demonstration, die wir machen, endet deshalb auch dort.

Jennifer Kamau, 49, aus Kenia, ist Mitbegründerin des International Women* Space.

„Ich wünsche mir Gerechtigkeit“

Mir geht es nicht so gut, das sage ich ehrlich. Leider habe ich immer noch keine feste Aufenthaltserlaubnis. Ich gehöre zu den Leuten, die über das Mittelmeer nach Lampedusa geflohen waren. Einigen der damaligen Besetzer vom Oranienplatz geht es heute allerdings noch viel schlechter. Ich treffe sie manchmal auf der Straße. Nach der Räumung haben sie die Kontrolle über sich verloren und sind psychisch kaputt gegangen.

Ich bin 2013 aus Italien nach Berlin gekommen. Der O-Platz war mein Paradies. Ich mochte die Leute, es gab viel Solidarität der Unterstützer – und ich hatte einen Ort zum Schlafen. Das waren falsche Versprechen, die uns der Senat gemacht hat, damit wir den Platz freiwillig räumen. 100 Leute von uns hatten danach zunächst in einem Hostel in der Gürtelstraße gewohnt. Nach vier Monaten hieß es plötzlich, wir müssen aus dem Hostel raus. Aus Protest hat eine Gruppe das Dach besetzt. 12 Tage waren wir da oben. Das war eine sehr harte Geschichte, die ich nie vergessen werde. Die Polizei hat uns behandelt wie Kriminelle.

Dabei war unsere einzige Forderung ein Platz zum Schlafen und zur Schule gehen zu können. Ich selbst kann lesen und schreiben, ich habe in Niger Philosophie studiert. Ich wollte das für meine jungen Brüder machen.

Danach war ich im Kirchenasyl. 2017 habe ich eine Ausbildung zum Glaser gemacht, bin dann aber durch den theoretischen Teil der Abschlussprüfung gefallen. Inzwischen wohne ich in einer WG, das funktioniert gut. Während der Ausbildungszeit hatte ich eine Aufenthaltserlaubnis, jetzt ist wieder alles offen. Das belastet mich sehr. Zum Glück unterstützt mich die Kirche weiterhin. Vom Staat habe ich nie einen Cent bekommen.

Was für mich übrig geblieben ist, vom O-Platz? Dass man im Leben immer weiter kämpfen muss, nie aufgeben sollte. Ich wünsche mir Gerechtigkeit! Alle Flüchtlinge, aus Westafrika, Syrien oder der Ukraine, sollten gleich behandelt werden. Leider ist das nicht so. Afrikanische Flüchtlinge werden sehr schlecht behandelt.

Mouhamed Tanko, 38, aus Niger. Er kam 2013 auf den O-Platz und lebt heute in Berlin. Eine feste Aufenthaltserlaubnis hat er bisher nicht.

„Politisch haben wir einiges bewirkt“

Die Oranienplatz-Bewegung ist immer noch da, nur nicht mehr auf der Straße. Viele von uns leben weiterhin in Berlin, machen irgendwie Politik. Ich arbeite etwa viel zu Sudan und helfe sudanesischen Studierenden, die aus der Ukraine flüchten mussten. Ein paar Leute von damals machen bis heute das Empowerment-Radio in der Waldemarstraße. Es gibt immer noch die Schlafplatz-Orga. Auch politisch haben wir einiges bewirkt, denke ich: Dass es die Residenzpflicht in der Form wie früher nicht mehr gibt, ist auch der O-Platz-Bewegung geschuldet. Es war auch unsere Forderung, dass die Essenspakete und Gutscheine abgeschafft werden. Heute bekommen Flüchtlinge fast überall Bargeld.

Das Problem: Die Politik will nicht zugeben, dass Menschen durch Protest und Widerstand etwas geschafft haben. Darum wollte man damals unbedingt den Oranienplatz räumen, sie wollten kein Symbol des Widerstands haben. Und im Großen und Ganzen hat sich an der rassistischen Flüchtlingspolitik und der Einstellung vieler Menschen leider nichts geändert. Das hat man jetzt wieder gesehen, wo die weißen Ukrainer freudig aufgenommen wurden, weil sie ja „wie wir“ sind, während die BIPoCs, die aus denselben Orten in der Ukraine kamen, teils immer noch nicht wissen, wie es weitergeht.

Dass man uns Schwarze hier nicht will, spüre ich auch am eigenen Leib. 2019 habe ich den unbefristeten Aufenthalt bekommen und meine Einbürgerung beantragt. Ich habe sie bis heute nicht bekommen – was sehr ungewöhnlich ist. Dagegen spricht nichts: ich bin nicht vorbestraft, liege dem Staat nicht auf der Tasche, zahle meine Steuern und so weiter. Aber erst haben sie versucht, mir was mit „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ anzuhängen, da ging es um die Räumung des Oranienplatzes 2014. Das Verfahren haben sie 2019 schnell noch angestrengt, bevor es verjährt wäre. Es wurde aber eingestellt. Seither heißt es, es gebe noch zwei offene Verfahren, welche, will man mir nicht verraten. Die Botschaft ist eindeutig: Wir wollen dich hier nicht.

Adam Bahar, 39, floh 2009 aus Sudan und kam im Oktober 2012 auf den Oranienplatz. 2015 erhielt er Asyl – einer von wenigen der O-Platz-Bewegung. Heute arbeitet er bei einem Verein für politische Bildung in Weißensee.