kritisch gesehen
: Hass ist die Antwort

Nicht nur eine Perspektive aufs Bühnengeschehen Foto: Kerstin Schomburg

Ein „dunkles Geheimnis“ ist angekündigt. Üppiger Alkoholvorrat steht zur Bewältigung bereit. Unheimliche Sounds und Nebel werden auf die Bühne gehaucht, die als plüschiges Hotelzimmer hergerichtet ist. Klassisch kann das Geschehen dort frontal und dank einer Spiegelkonstruktion gleichzeitig auch aus der Aufsicht erlebt werden. Entsprechend doppelperspektivisch funktioniert Neil LaButes „Die Antwort auf alles“ im St. Pauli Theater.

Das Stück nähert sich den drei Protagonistinnen nicht nur als Figuren eines geschickt konstruierten Kammerspiel-Plots, sondern leuchtet psychorealistisch auch ihre Handlungsmotivationen aus und tippt dabei moralische Diskurse über die Grundlagen unseres Rechtsverständnisses an. Nach 20 Minuten Geplänkel gewinnen die Dialoge mit dem Stichwort „umbringen“ enorm an Sogkraft. Nach und nach wird deutlich, was Männer, „Monster“, den drei Frauen angetan haben, so dass sie zum Trio infernal wurden – als Ausdruck des Hass gewordenen Schmerzes und des mangelnden Vertrauens in die Fähigkeiten der staatlichen Justiz: Angeklagte in Vergewaltigungsprozessen werden überproportional häufig freigesprochen. Täter wüssten daher genau „dass ihre Opfer immer in einer peinlichen Scheißsituation sein werden: Sie müssen beweisen, was passiert ist, die Befragungen durchstehen, die Spekulationen, die brutale Bewertung“, heißt es in dem Stück. „Deshalb vergraben und verbergen und verdrängen es die Opfer – oder springen von einem Hochhaus. Nur weil so ein beschissenes Arschloch ihnen weggenommen hat, wer sie waren.“

LaButes Figuren provozieren an dieser Argumentationsstelle mit dem Heraustreten aus der Opferrolle. Als taktisch kluge Furien verweigern sie Vergebung und Verzweiflung, fordern Vergeltung – werden zur Anklägerin, Richterin und Henkerin in Personalunion. Selbstjustiz für die Gerechtigkeit als „Antwort auf alles“.

Als Selbstermächtigung. Ein beliebtes Sujet antiker Dramen und zeitgenössischer Filme jetzt mal auf dem Thea­ter, weil wohl auch dort alle im Publikum, schwankend zwischen Rationalität und Leidenschaft, dieses Gefühl kennen. Und es sich umgehend verbieten – angesichts der eigenen sozialen, politischen, philosophischen und ethischen Überzeugungen, vielleicht auch nur aus Angst oder Faulheit. Und so ist auch auf der Bühne zu erleben, wie der Zweifel den Rachefuror zähmt. Sind nicht Männer auch Menschen, stimmen alle Anschuldigungen überhaupt?

Die im Stück offene und vom Autor unkommentierte Debatte ist in Julia Hölschers Regiearbeit gefärbt, kommt die kritische Stimme doch aus dem Mund der US-trutschig kostümierten Cindy (Julia Nachtmann). Während die Killerinnen Paige (Marie Schulte-Werning) als toughe Blondine und Carmen (Meriam Abbas) als innerlich wutbrodelnde, aber äußerlich cool-mondäne Frau hergerichtet sind.

Dem akribisch durchgearbeiteten, dynamischen Spiel fehlt etwas die innere Intensität des Kämpfens miteinander: Die Darstellerinnen agieren vornehmlich für sich, machen es im Gegenzug aber leicht, sich in ihre jeweiligen Figuren hineinzuversetzen.

So reißt das Stück bis zum Ende hochspannend die politisch nicht korrekten Punkte der Debatte auf. Schön, dass gerade das sonst viel seichter unterhaltende St. Pauli-Theater diesem polarisierenden Stoff zu Bühnenleben verhilft.

Jens Fischer

St. Pauli-Theater, täglich bis 19. 11., 19.30 Uhr