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: „Er ist einfach weg“

Der Lüneburger Expressionist Ernst Lindemann ist fast vergessen. Ein Buch über ihn soll das nun ändern

Foto: privat

Werner H. Preußist Historiker und Germanist, freier Schriftsteller und Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität Lüneburg. 2014 gründete er den Almáriom-Verlag.

Interview Harff-Peter Schönherr

taz: Herr Preuss, wer ein Gemälde von Ernst Lindemann sieht, könnte im ersten Moment denken: Emil Nolde! Oder täuscht das?

Werner H. Preuss: Das ist bei fast allen der erste Eindruck, und diese Nähe ist sicher auch vorhanden. Sie zeigt, dass Lindemann auf dem Stand seiner Zeit war, ihre Anregungen aufgegriffen hat. Aber es gelingt ihm, aus ihnen etwas Eigenes zu machen.

Wie lässt sich dieses Eigene beschreiben?

Es zeigt sich in der Dynamik der Linie, in der Farbsattheit der Flächen. Im Vergleich zu Nolde ist das schon anders. Hinzu kommt: Nolde porträtiert sehr oft Menschen, das tut Lindemann nicht. In seiner Frühzeit hat er Porträts gemalt, aber das führt er nicht weiter.

Wer Lindemann war, schreiben Sie, „wissen heute nur noch wenige Menschen – und meistens auch nur vage“. Warum ist das so?

Lindemann zieht sich auf nur eine Technik zurück: das Aquarell. Er malt auch nichts Repräsentatives. Und es ist schwierig, Heimatkunst als Expressionist zu machen. Wenn man ein großstädtisches Publikum hat, geht das, aber ein kleinstädtisches Publikum will sehen, was es aus eigener Anschauung kennt, will wiedererkennen können, was es vor sich hat. Hinzu kam der Nationalsozialismus, der sein Denken dargestellt sehen will, der den Expressionismus ablehnt. Lindemann hat sich ihm verweigert. Öffentlich war er fortan unsichtbar.

Er hat opponiert?

In seinem Kreis hat er durchaus Widerstand geleistet. Er hat versucht, die Jugend vom Nationalsozialismus abzuwenden, von dessen Weltverständnis der Härte, der Männlichkeit. Aus seiner Kunst spricht ja viel Weichheit, Differenzierung.

Lindemann malt Boote, Wald und Bauernhäuser, die Lüneburger Heide. Was für ein Heimatverständnis spricht daraus?

Das ist Heimatliebe, Liebe zur Weite. Die Nazis wollten die Heimatkunst ideologisieren. Das hat Lindemann ihnen nicht geboten.

Warum ist es wichtig, sich mit Lindemann zu beschäftigen?

Buchvorstellung „Der Lüneburger Expressionist Ernst Lindemann“ mit Werner H. Preuß: heute, 28. 11., 19.30 Uhr, Lüneburg, Literaturbüro Heinrich-Heine-Haus

Ich kann sagen, warum ich es tue: Ich suche eine Antwort darauf, wie man sich selbst in einer solchen Zeit verhalten hätte. Ich sehe an ihm, dass einiges möglich war, auch für ganz normale Menschen. Wenn man im Land blieb, musste man in eine innere Emigration gehen. Aber man konnte weitermachen. Sicher, man bekam dann keine Malerpreise, verdiente kein Geld, aber diesen Einsatz hat Lindemann gebracht.

In der NS-Zeit galt er als „entartet“. Hat das zu seinem Vergessen beigetragen?

Nach dem Krieg wollte man hier in der Gegend dieselben Künstler sehen, die schon während der NS-Zeit en vogue waren. Das waren nicht alles Propagandakünstler. Aber die Heimat, die sie boten, war eine ohne Probleme, eine heile Welt. Das Expressionistische, das Explosive, das auch aus dem Künstler selbst herausbricht, das ihn vielleicht auch quält, wollten die Leute nicht sehen. Manche von Lindemanns Bildern sind sehr düster und schrill.

Wie groß ist Lindemanns Werk?

Es umfasst mehr als 1.000 Arbeiten. Übrigens ist Lindemann in keinem einzigen Künstlerlexikon verzeichnet, er ist einfach weg. Das hat er nicht verdient.