Was im neuen Jahr wichtig wird

Am 12. Februar wird das Abgeordnetenhaus erneut gewählt, und vieles hängt vom Ergebnis ab. Aber es gibt noch andere Ereignisse, die Berlin 2023 prägen werden. Vier Beispiele

Die Wahl ist das eine. Doch 2023 verspricht noch mehr Großereignisse Foto: Michael Danner

Ein Impuls gegen den Lehrkräftemangel

Es ist eine ungelöste Frage: Wie autonom sollen die Länder in Bildungsfragen agieren? Derzeit haben sie weitgehend freie Hand – Schulangelegenheiten sind Ländersache, der Bund gibt höchstens Geld. Nicht je­de*r findet das immer sinnvoll, etwa beim länderübergreifenden Problem Fachkräftemangel.

2023 übernimmt Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz, also des Gremiums, in dem die Bil­dungs­mi­nis­te­r*in­nen der Länder zusammenkommen. Die Erwartungen an Berlins KMK-Vorsitz: Busse möge ihre Präsidentschaft nutzen, um endlich einen gemeinsamen, deutlichen Impuls gegen den Lehrkräftemangel zu setzen.

Sowohl Bil­dungs­po­li­ti­ke­r*in­nen der Koalitionsfraktionen als auch der Landeselternausschuss, Berlins oberste Elternvertretung, sagen: Da muss jetzt etwas kommen. Es könne nicht so weitergehen, „dass die Bundesländer versuchen, sich untereinander Lehrkräfte abzuwerben“, sagt Franziska Brychy, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Wir brauchen eine grundsätzliche Lösung.“

Diese konkrete Lösung könnte nach Meinung der Linken ein Staatsvertrag Lehrkräftebildung sein: Ein verbindlicher Vertrag also, der die Ausbildungsquoten in den Ländern regelt. Keine ganz neue Idee, sie steht so bereits im rot-grün-roten Koalitionsvertrag. Aber Brychy sieht mit der KMK-Präsidentschaft nun eine gute Gelegenheit, die Senatorin daran zu erinnern.

Denn obwohl die Länder bereits 2020 verabredeten, die Ausbildungsplatzkapazitäten zu erhöhen, ist der Personalmangel nicht behoben worden. Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung kam kurz vor Weihnachten zu dem Ergebnis, dass die Länder 18 Prozent unter Bedarf ausbildeten – also weniger Lehrkräfte ausbilden, als sie einstellen.

Man müsse dafür auch gar nicht gleich den Föderalismus in Frage stellen, sagt die Bildungsexpertin der Grünen-Fraktion, Marianne Burkert-Eulitz: „Ich wünsche mir endlich eine pragmatische Organisation zwischen den Ländern.“ So ein Staatsvertrag habe ja auch durchaus Vorbilder, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei ähnlich gesetzlich geregelt.

„Ich glaube, das dringendste und wichtigste Thema ist der Lehrkräftemangel und die Einigung auf den Staatsvertrag“, sagt auch Norman Heise, Berlins Landeselternsprecher. Außerdem erwarte er, Stichwort Pandemie-Nachsorge, eine Verlängerung des Bundesprogramms „Stark trotz Corona“. „Ich denke“, sagt Heise, „mehr wird in der Konstruktion der KMK auch nicht möglich sein.“ Die Beschlüsse der zweimal jährlich tagenden Konferenz sind nicht bindend. Sie müssen, weil Bildung eben Ländersache ist, dort in Rechtsvorschriften übersetzt werden.

Lücken bei Digitalisierung

Aus Schü­le­r*in­nen­sicht wünscht man sich vor allem, dass die Digitalisierung nicht aus dem Blick gerät: „Wir haben das Gefühl, da dreht sich das Rad nach dem Schub durchs Homeschooling jetzt eher wieder zurück“, sagt Antonio Rosenberger, Vorstandsmitglied im Landesschül­er*in­nenausschuss. Die „Lücken“ zwischen gut und weniger gut ausgestattenen Schulen würden „größer“.

Busse selbst hat bereits angekündigt, in der KMK einen Fokus auf den Ausbau der inklusiven Ganztagsgrundschule zu legen: mehr Ganztagsplätze, bessere Betreuung auch im Brennpunkt. Bundesweit wird dafür bis 2035 mit einem Mehrbedarf von 75.000 Lehrkräften gerechnet. Anna Klöpper

Berlin zum Vorbild beim Klimaschutz machen

Sind Wahlen oder Abstimmungen die gewichtigeren Urnengänge? Laut Berliner Verfassung sind beide gleich gestellt, schließlich entscheidet bei einem Volksentscheid der Souverän direkt über ein Thema. Aber wer auf die Beteiligung schaut, erkennt: Bei Wahlen ist diese deutlich höher, auch weil der Wahlkampf davor präsenter ist.

Der Klimaentscheid am 26. März verdient es, ebenso viel Beachtung zu bekommen wie die Wiederholung der Wahl zum Abgeordnetenhaus sechs Wochen zuvor. Denn folgt man der Argumentation der Initiative Klimaneustart Berlin, welche die Abstimmung mit mehr als 170.000 gültigen Unterschriften zustande gebracht hat, steht nicht weniger als die Zukunft der Menschheit zur Debatte.

Laut dem zur Abstimmung gestellten Gesetzentwurf müsste Berlin bis 2030 klimaneutral sein, also die CO2-Emissionen fast auf null reduzieren. Nur so sei das auf der Klimakonferenz in Paris vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen, noch zu erreichen, sagt die Initiative. Ansonsten drohten dramatische Auswirkungen, etwa durch Dürren und Unwetter. „Uns geht es nicht um das Jahr 2030 als Selbstzweck. Uns geht es wirklich um das CO2-Budget. Wir möchten, dass das eingehalten wird“, hatte Jessamine Davis, Sprecherin der Gruppe, im taz-Interview gesagt.

Doch kann Berlin allein den Unterschied machen? Zumindest als Vorbild für andere Städte in Deutschland und Europa wäre es hilfreich, wenn die deutsche Hauptstadt sich ambitionierte Ziele setzen würde, argumentiert die Initiative. Zumal sich kleinere Städte eine Klimaneutralität bis 2030 vorgenommen haben.

Ist das Gesetz umsetzbar?

Sich das vorzunehmen sei das eine, sagt die rot-grün-rote Koalition – aber das Ziel umzusetzen sei faktisch unmöglich. Daher hat der Senat sich dagegen ausgesprochen, zumal der zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf die Regierung zu drastischen Maßnahmen verpflichten würde – anders als beim Enteignungsentscheid, der ein Appell war. Vor dem Entscheid dürfen Initiative und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen daher kaum auf Unterstützung der Parteien hoffen. Eine Mehrheit zu bekommen, die zudem aus mindestens einem Viertel der Abstimmungsberechtigten besteht, wird eine schwierige Aufgabe, das ist jetzt schon klar. Bert Schulz

Enteignung? Aber ob!

Die Enteignung der großen privaten Immobiliengesellschaften hat Berlin im vergangenen Jahr und dem davor thematisch geprägt, und sie wird es auch in diesem Jahr tun. Dennoch muss es keine Never-ending-Story werden, denn nun stehen entscheidende Schritte an.

Zunächst aber heißt es: Same procedure as every year. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen will im Wahlkampf mitmischen. Sprecherin Isabelle Rogner kündigte gegenüber der taz an, mit Straßenständen, Veranstaltungen und Kandidatenbefragungen das Thema bei der Wiederholungswahl präsent zu halten. Damit soll nicht nicht nur die Entscheidung zuungunsten ihrer Gegner beeinflusst, sondern auch den Druck auf den nächsten Senat erhöht werden.

Der entscheidende Impuls wird jedoch von der Expertenkommission zur Vergesellschaftung kommen, die regulär bis Ende April noch vier Sitzungen vor sich hat – zwei weitere könnten bei Bedarf im Mai und Juni hinzukommen. Vereinbart ist, dass sie zügig nach Abschluss ihrer Beratungen einen Abschlussbericht vorlegt. Der zuletzt präsentierte Zwischenbericht zeigt, die Kommission ist auf einem guten Weg, den Popanz der Vergesellschaftungsgegner von Verfassungswidrigkeit und Nichtfinanzierbarkeit vom Tisch zu räumen. Womöglich ist Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), der auch zuletzt unbeirrt davon sprach, dass das Anliegen „offensichtlich nicht verfassungskonform“ ist, bis dahin auch bereits weggefegt.

Lackmustest der Koalition

Der Umgang mit den Einschätzungen und Empfehlungen der Kommission wird gleichfalls zum Lackmustest einer neuen Koalition werden, sofern diese nicht nur aus CDU, FDP und SPD bestehen sollte. Der Mietenexperte der Linksfraktion, Niklas Schenker, etwa sagte der taz, „der weitere Prozess muss in den Koalitionsverhandlungen festgeschrieben werden“. Er erwarte, „dass in den ersten 100 Tagen nach Vorlage des Kommissionsberichts eine Entscheidung über die Erarbeitung eines Vergesellschaftungsgesetzes getroffen wird“. Der Prozess müsse dann umgehend starten. Sollte die Kommission Fragen unbeantwortet lassen, können dann noch Expertise und Gutachten eingeholt werden.

Wie konkret die Kommission Hinweise zur Umsetzung der Vergesellschaftung geben wird oder ob sie vor allem eine juristische Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten liefert, ist noch nicht auszumachen. So oder so aber steht fest: Es bleibt eine große Aufgabe, ein wasserdichtes Vergesellschaftungsgesetz zu erarbeiten.

Bei null muss der Senat immerhin nicht anfangen. Ein Gesetzesentwurf der Initiative liegt vor und gehört zu den Arbeitsgrundlagen der Kommission, auch wenn sie sich bislang nicht damit befasst hat. Die Linke zumindest will schon bei einer Veranstaltung im Januar ein Konzept zur Ausgestaltung einer Anstalt öffentlichen Rechts vorlegen, in die die zu enteignenden Wohnungen dann überführt werden sollen.

Endlich könnte es also in diesem Jahr mehr die um die Fragen des Wie und nicht nur des Ob gehen. Erik Peter

Ganz besondere Spiele

Es sind 7.000 Sportler und Sportlerinnen, die im Juni für eine Woche nach Berlin kommen. Das sind, um einfach mal ein Gefühl für die Größe der Special Olympics zu bekommen, so viele Athleten und Athletinnen, wie 1972 in München bei den Olympischen Spielen antraten. Oder ein etwas aktuellerer Vergleich: Bei den Paralympics 2021 in Tokio waren lediglich 4.500 Sportler und Sportlerinnen am Start.

Es gibt nicht nur die numerische Ähnlichkeit: Special Olympics sind tatsächlich für die Teilnehmenden so etwas wie Olympische Spiele. Ein weltweites Sportfest für Menschen mit geistiger Behinderung. Und zwar mit vollem Programm: Von Badminton und Basketball bis Tischtennis und Volleyball ist alles dabei.

Es ist das erste Mal, dass dieses Sportevent in Deutschland stattfindet. Von seiner Gründung 1968 bis zum Jahr 1999 wurden die Special Olympics immer in den USA ausgetragen. Erst danach wurden sie globalisiert: Dublin, Schanghai, Athen, Abu Dhabi hießen die Stationen, und vom 17. bis 25. Juni 2023 nun eben Berlin.

Es gibt zwar einen Schwerpunkt auf Charlottenburg – viele Wettkämpfe finden im Umfeld von Olympiapark und Messe statt –, aber letztlich dürfte die ganze Stadt etwas von der zu erwartenden Begeisterung haben: Das 3x3-Basketballturnier etwa steigt am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus, für das Radrennen ist die Straße des 17. Juni vorgesehen, geschwommen wird im Europapark und in Grünau, also mal drinnen und mal draußen, und gesegelt wird auf dem Wannsee. Sogar in Brandenburg wird gesportelt: Golf in Bad Saarow.

Auch die erwarteten über 1.000 Medienvertreter und -vertreterinnen (die der taz dürften mitgezählt sein) zeigen an, dass die Special Olympics den mehr als verdienten Sprung in die große Sportöffentlichkeit nehmen können – und sollten. Die Olympischen Spiele gibt es seit 1896, die Paralympics für Menschen mit körperliche Beeinträchtigung gibt es unter diesem Namen seit 1960.

Vorbild Paralympics

Die Special Olympics sind – zumindest unter dem Label „olympisch“ und mit Anerkennung durch das Internationale Olympische Komitee – das jüngste unter diesen Weltsportfesten. Während es den Paralympics in den vergangenen Jahren erfolgreich gelungen ist, als etwas Großes und Eigenständiges wahrgenommen zu werden, bekommen die Special Olympics viele noch zu oft mitleidige Blicke.

Wie falsch das ist, ließ sich bereits im Sommer 2022 in Berlin besichtigen: Im Juni – organisatorisch ein Testlauf für das Weltfest heuer – fanden die Nationalen Spiele der Special Olympics statt. Etwa 4.000 Sportler und Sportlerinnen nahmen teil, und die Abschlussfeier damals wie im anstehenden Jahr 2023 fand am Brandenburger Tor statt. Martin Krauss