die dritte meinung
: Irgendwann wird der Widerstand als notwendig anerkannt sein, sagt Erika Harzer zu Lützerath

Ich bin fassungslos und wütend, wobei ich mir dank meiner fast siebzigjährigen Lebenserfahrung eigentlich das Fassungslossein schenken könnte – denn ich stand oft auf der Seite derjenigen, die beschimpft, kriminalisiert und als gesellschaftliche Ge­fähr­de­r*in­nen bezeichnet wurden: Egal ob in den Anfängen der Anti-Atom-Bewegung oder in der Bewegung für den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum. Solange auf den politischen Entscheidungspositionen nach wie vor Menschen sitzen, die von der Wachstumsprämisse der Wirtschaft ohne Wenn und Aber getrieben werden, bleiben politische Entscheidungen Maßnahmen für die Wirtschaft, deren Lobby und Aktionäre.

Lützerath wäre vor allem für die Grünen die Chance gewesen, aus diesem Kreislauf auszubrechen und klare Kante zu zeigen. Es wäre die Chance gewesen zu zeigen: Wir nehmen die Warnungen unterschiedlichster Wissenschaftler ernst und ändern jetzt unsere Politik und unser Wirtschaftswachstumsdogma – und nicht erst irgendwann, wenn die Katastrophe so weit fortgeschritten ist, dass auch die letzten Verteidiger der freien Fahrt für freie Bürger eingeknickt sind.

Nachdem das Argument, man brauche die Kohle von Lützerath, um die Energiekrise abzuwenden, durch mehrere Studien widerlegt ist, hätte sich RWE neu aufstellen können, indem der Konzern auf Lützerath verzichtet und die Energiegewinnung durch Erneuerbare forciert. Aber nix da: Lützerath muss weg, wider alle Vernunft, wider alle Verantwortung, die für zukünftiges Leben getragen werden sollte.

Erika Harzer, Jahrgang 1953, ist Autorin und Regisseurin zahlreicher Radiofeatures, Dokumentar­filme und Printreportagen mit ­Schwerpunkt Lateinamerika. Sie lebt in Schleswig-Holstein.

Dafür werden junge Menschen, die noch viele Jahrzehnte vor sich haben und sich dagegen wehren, wieder einmal kriminalisiert. Genauso wie die Ak­ti­vis­t*in­nen der Letzten Generation, deren Protestwaffe nichts anderes als Leim ist. In meinen Worten sitzt eine tiefe Verzweiflung darüber, schon so viele Lützeraths in meinem Leben erlebt zu haben, wissend, dass irgendwann die Geschichte die Aktionen der Widerständigen als notwendig anerkennt. Aber wir können uns heute kein Irgendwann mehr leisten.