Erzbischöfe vertuschten systematisch

Unabhängige Kommission wirft Erzbistum Freiburg sexuelle Gewalt in rund 540 Fällen vor

„Wir haben kein Lob zu verteilen“, sagte Eugen Endress am Dienstagvormittag in Freiburg. Während der Vorstellung der Ergebnisse des Gutachtens zu sexuellen Gewalt im Erzbistum Freiburg redete sich der pensionierte Richter in wenigen Minuten in Rage.

Eine Kommission aus Juristen und Kriminalbeamten werfen in einem knapp 600-Seiten starken Gutachten den früheren Freiburger Erzbischöfen Robert Zollitsch und Oskar Saier „massive Vertuschung“ und „Ignoranz geltenden Kirchenrechts“ beim Umgang mit sexueller Gewalt vor. Besonders erschreckend sei, dass das Leid der betroffenen Kinder und Jugendlichen und der Angehörigen keine Rolle gespielt habe, sagte Endress.

In den Amtszeiten der beiden Erzbischöfe seien keinerlei Aufklärungsbemühungen erkennbar gewesen. Vielmehr sei es nur um den Schutz der Kirche und der Priester gegangen. Eine besondere Verantwortung für die systematische Vertuschung trifft Zollitsch, da er vor seiner Berufung zum Erzbischof im Jahr 2003 bereits 30 Jahre lang als Personalreferent im Bistum tätig war. Von 2008 bis März 2014 war er außerdem Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Der Bericht habe ein „Versagen kirchlicher Strukturen“ aufgedeckt, bekannte der amtierende Freiburger Erzbischof Stephan Burger, der auch stellvertretender Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist. Er bat auch für eigene Fehler um Entschuldigung und zeigte sich fassungslos, dass seine Vorgänger trotz Wissen um den Missbrauch nicht handelten. Das Kirchenrecht sehe ein Eingreifen und Melden von Fällen vor.

Die Kommission legte dar, dass sexuelle Gewalt durch Verantwortliche jahrelang bagatellisiert wurde und Druck auch durch Gemeinden auf Menschen entstand, die auf Missbrauchstäter aufmerksam gemacht hatten.

Besonders eindrücklich sei für die Kommission gewesen, dass Alt-Erzbischof Robert Zollitsch einen Priester, der einvernehmlich Sex mit erwachsenen Frauen hatte, aufgrund des Verstoßes gegen das Zölibats nach dem kanonischen Recht verurteilen ließ. Kindesmissbrauch von Priestern hingegen ahndete er während seiner Amtszeit nicht.

Ob das Gutachten kirchenrechtliche Konsequenzen für den noch lebenden Alt-Erzbischof Robert Zollitsch hat, müsse nun der Vatikan entscheiden. Entsprechende Maßnahmen seien eingeleitet worden, sagte Erzbischof Burger.

Rund 540 Kinder und Jugendliche haben dem Bericht zufolge im Erzbistum Freiburg sexuelle Gewalt durch Priester und Ordensleute erfahren. Die Dunkelziffer liege dabei jedoch um einiges höher. Der Bericht liste über 250 beschuldigte Priester und 33 weitere Beschuldigte wie etwa Diakone auf, sagte der Vorsitzende der Kommission, Magnus Striet. Darin werden auch die Strukturen im Erzbistum Freiburg offengelegt, die sexuelle Gewalt und deren Vertuschung begünstigt haben. 24 Fälle sexueller Gewalt werden exemplarisch detailliert dargestellt.

Der Bericht war bereits im Oktober 2022 erwartet worden, die Veröffentlichung wurde aber aufgrund von rechtlichen Bedenken verschoben. (epd, taz)