Was den Morden zugrundeliegt

Ein feministisches Wiener Netzwerk möchte das Bewusstsein für Femizide schärfen

von Nicole Opitz

Es ist ein Buch, das etwa alle elf Minuten an Relevanz gewinnt. So oft gibt es weltweit Femizide, also Morde aufgrund der Geschlechtsidentität. Während die Bevölkerung in Ländern wie Chile, Mexiko und Spanien schon länger ein Bewusstsein für das Thema hat, wächst das Bewusstsein langsam auch in deutschsprachigen Ländern. Vor allem Feminist_innen machen in Deutschland, der Schweiz und Österreich darauf aufmerksam. Seit dem Sommer 2020 gehört auch „Claim the Space“ dazu, Wiener Aktivist_innen, die nach jedem Femizid demonstrierten. Mittlerweile treffen sie sich Ende jedes Monats und verlesen die Femizide der vergangenen 365 Tage. Vier davon, Judith Goetz, Cari Maier, Kyra Schmied und Marcela Torres Heredia, haben nun ein Buch herausgegeben. Es ist sehr verkopft, das zeigt schon der Name ihres Autor_innen-Kollektivs „Biwi Kefempom“ („Bis wir keinen einzigen Femi(ni)zid mehr politisieren müssen“) sowie der Titel „Femi(ni)zide“.

Die Autor_innen sehen sich an der Schnittstelle zwischen Aktivismus und Wissenschaft. Dabei schreiben sie im Gegensatz zu anderen populär­wissenschaftlichen Publikationen nicht bloß von der Tötung von Frauen, ­sondern von patriarchaler Gewalt gegen FLINTA (Frauen, Lesben, inter, trans und agender Personen) und betonen immer wieder, wie wichtig es ihnen ist, Femizide aus einer dekolonialen und intersektionalen Perspektive zu beleuchten, um „gemeinsamen Widerstand und Solidarität zu eröffnen“. Doch die intersektionale Perspektive ist leider etwas eingeschränkt: Zwar wird intensiv darauf eingegangen, wie patriarchale Gewalt und Rassismus zusammenhängen, aber wenn es um den Einfluss von Ableismus geht, bleibt es bei Erwähnungen.

Biwi ­Kefempom: „Femi(ni)zide“. Verbrecher Verlag, Berlin 2023, 296 Seiten, 19 Euro

Beim Lesen von „Femi(ni)zide“ bekommt man den Eindruck, dass das Patriarchat der Täter ist, keine Individuen. Das ist insofern verständlich als dass man sich beim Thema nicht zu sehr auf Täter fokussieren sollte – allerdings bleibt das Thema dadurch sehr abstrakt, als hätte man selbst nichts damit zu tun. Dabei ziehen sich Femizide durch die gesamte Gesellschaft hindurch. Das Buch ist nicht leicht zu lesen und nichts für Personen, die sich zuvor noch nicht mit Femiziden befassten. Es ist viel zu akademisch, teilweise füllen Fußnoten, die mit dem Thema Femizid an sich nichts zu tun haben, das Gros der Seite.

Allerdings setzen sich die Autor_innen auch kritisch mit bestehenden feministischen Konzepten auseinander. So schreibt das Kollektiv zur feministischen Strategie, Femizide zu zählen, um auf sie aufmerksam zu machen: „Es ist gewaltvoll, sich an Ermordeten ‚abzuarbeiten‘ – umso mehr, wenn Zählungen immer exkludierend sind und zugleich von bürgerlichen Institutionen wie der Polizei durchgeführt werden, die selbst strukturell rassistisch sind. (…) Die Reproduktion bestimmter Daten erzeugt oft keine neuen Erkenntnisse, sondern Gewalt.“ Zwar wird beim Lesen nicht klar, an wen sich das Buch richtet, aber ein Blick hinein lohnt sich für polizeikritische Linke, die ihr Wissen zu patriarchaler Gewalt vertiefen wollen.