die dritte meinung
: Liebe Pa­t*in­nen im Bundestag, werdet zur Stimme der Gefangenen im Iran, fordert Sepideh Qolian

Ich grüße Sie aus dem Evin-Gefängnis in Teheran. Nach mehr als vier Jahren Haft wurde ich im März freigelassen und am selben Tag wieder verhaftet. Ich hatte vor dem Gefängnis Parolen gegen Chamenei gerufen, dafür wurde ich zu weiteren zwei Jahren verurteilt. Mein Verbrechen besteht darin, dass ich eine „Frau“ bin, die „Freiheit“ und „Leben“ nicht nur für sich selbst, sondern für alle Menschen dieses Landes will.

Für viele von uns politischen Gefangenen – sogar für jene, die nicht eindeutig aus politischen Gründen angeklagt sind, aber aufgrund politischer Umstände und Entscheidungen Inhaftierung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt sind – ist es ein wichtiges Zeichen der Solidarität, dass über 400 deutsche Abgeordnete bereit sind, politische Patenschaften für politische Gefangene in Iran zu übernehmen.

Heute, acht Monate nach dem staatlichen Femizid an Jina Mahsa Amini, stehen wir an einem schwierigen Wendepunkt unserer Revolution. Kurdistan hat sich nach diesem Mord erhoben, Belutschistan, ganz Iran. Die Menschen waren sich einig. Bis das Regime mit systematischen Tötungen, Verhaftungen und Todesurteilen die Straßenproteste zurückdrängte.

Als eine der politischen Gefangenen bezeuge ich, dass die Formulierung „politischer und nicht politischer Gefangener“ lächerlich ist. Unter der Herrschaft der Islamischen Republik im Iran gibt es keine Politik. Nur Gewalt und Mord, um die Menschen daran zu hindern, durch einen revolutionären Prozess wieder zu Menschen zu werden.

Liebe politische Pat*innen, bitte ergreifen Sie die Initiative. Klären Sie die Öffentlichkeit auf. Bitten Sie die Medienhäuser, die Propaganda der Islamischen Republik in Bezug auf Gefangene nicht zu wiederholen.

Sepideh Qolian

28, ist eine bekannte iranische Aktivistin. Aktuell ist sie im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert. Adressaten ihres Briefs sind die 400 Menschen in Deutschland, die Patenschaften für die politischen Gefangenen in Iran übernommen haben. Qolians politischer Pate ist der Grünen-Bundestagsabgeordnete Max Lucks.

Wenn das unschuldige Gesicht der ermordeten Jina Mahsa Amini Sie bewegt: Überdenken und ändern Sie die Beschwichtigungspolitik gegenüber der Islamischen Republik. Werden Sie zur Stimme der iranischen Bevölkerung, die derzeit keine eigene Stimme hat.

Aus dem Farsi: Mina Khani