Andreas Speit Der rechte Rand
: Warum der Hamburger Senat den NSU-Komplex nicht aufklärt

Der rot-grüne Senat in Hamburg will den NSU-Komplex parlamentarisch aufklären – ohne die Möglichkeiten eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA). Am 13. April hatten die Abgeordneten beider Parteien in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Aufarbeitung mit einer „parlamentarischen Begleitung durch einen interfraktionellen Beirat der Bürgerschaft“ durchgesetzt. Einen Antrag der Linken für einen PUA wegen des NSU-Mordes an Süleyman Taşköprü in der Hansestadt lehnten SPD, Grüne, CDU und AfD ab. Keine zwei Monate später macht eine Antwort des Senats zu dem Komplex die Grenzen der einfachen Parlamentsmittel deutlich.

Mit einer Großen Anfrage hatte die Linke am 3. Mai erneut „offene Fragen“ zu dem Mord gestellt: 99 Fragen zur rechtsextremen Szene und den staatlichen Ermittlungen. Die Senats-Antwort vom 30. Mai offenbart aber auf 31 Seiten nichts Neues. Der erste Satz der Vorbemerkung deutete schon an, dass neue Erkenntnisse oder weitreichende Einschätzungen nicht folgen werden. „Der NSU-Mord an Süleyman Taşköprü ist in Hamburg umfangreich und unter intensiver parlamentarischer Beteiligung aufgearbeitet worden“, erklärt der Senat. Im Übrigen gebe es seit der Aufdeckung des NSU ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts. Schon das Wort „Aufdeckung“ erfasst kaum den Sachverhalt: Die Morde des NSU enttarnte 2011 Beate Zschäpe als einzige Überlebende des Kerntrios durch das Versenden von Bekennenden-DVDs.

Es tauchten aber auch kritische Fragen zu den Ermittlungen an der Elbe auf. So wollte die Bundestagsabgeordnete Eva Högl (SPD) im PUA des Bundestags wissen, warum sich in den Hamburger Akten „keine einzige Stelle“ finde, dass auch wegen eines „fremdenfeindlichen Hintergrunds“ ermittelt wurde. Gleich nach der Ermordung seines Sohnes am 27. Juni 2001 hatte der Vater auf weiße, deutsche Männer hingewiesen. „Seit diesem NSU-Untersuchungsausschuss wissen wir, dass rechte Motive bei den Ermittlungen keine Rolle spielten“, sagt Deniz Celik, innenpolitischer Sprecher der Linken. Dennoch werde „unbeirrt“ das Gegenteil behauptet.

Schutz vor unbequemen Fragen

In den Antworten zur rechtsextremen Szene in der Hansestadt zwischen 1980 bis 2011 führt der Senat nur aus, was in Fachliteratur und Verfassungsschutzberichten dargelegt wurde – und was durch „journalistische oder antifaschistische Recherchen bekannt“ wurde, sagt Felix Krebs von Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR). Bei den Antworten werde auch „Ahnungslosigkeit“ sichtbar, so Krebs. Denn die Innenbehörde weiß von einem Kontakt des Rechtsterroristen Manfred Röder zur Bundeswehr an der Elbe nichts. 1997 berichtete nicht bloß die taz.

Foto: Jungsfoto: dpa

Andreas Speitarbeitet als freier Jour­nalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

Die Kernverhältnisse der Hamburger Szene um Christian Worch und Thomas Wulff zur Thüringer Szene um Tino Brandt und Ralf Wohlleben stellt der Senat dar. Die Intensität des Netzes um Brandt, in dem sich das Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe politisiert und radikalisiert hatte, bleibt wieder im Vagen – mit dem Verweis, die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes wegen des Staatswohles nicht darlegen zu können. Kurz: V-Leute sollen geschützt werden. Fragen zu V-Männern an der Elbe seit den 1980er-Jahren bleiben ebenso unbeantwortet. 1999 scheiterte das Verbot des „Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland“. Mindestens ein V-Mann, Michael S., soll involviert gewesen sein. In einer Garage des NSU-Trios fanden Ermittelnde das Magazin Sonnenbanner,für das der V-Mann mitverantwortlich zeichnete (taz berichtete). Die Wege waren damals kurz, die Kontakte eng.

„Wieder einmal beantworten der Senat und der Verfassungsschutz die zentralen Fragen nicht und geben nur preis, was länger bekannt ist“, sagt Celik. Der Senat verstecke sich hinter dem Generalbundesanwalt. Ohne einen PUA könne eine Aufklärung nicht vertieft werden, so Krebs. „SPD und Grüne arbeiten nicht an einer Aufklärung des NSU“, sagt Celik, „sondern einzig und allein am Schutz der Sicherheitsbehörden vor unbequemen Fragen“.