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„Der Verantwortung bewusst“

An der Hochschule Bremerhaven betreiben Studierende auf dem Weg zum Bachelor ein Unternehmen – genossenschaftlich. Ein Gespräch mit Dozentin Ann-Cathrin Scheider

Von Bernward Janzing

taz: Frau Scheider, ein Studiengang, bei dem die Ausbildung im Rahmen der Gründung einer Genossenschaft erfolgt – klingt ungewöhnlich.

Ann-Cathrin Scheider: Ja, das ist in Deutschland noch einmalig. Das Konzept kommt aus Finnland, wo das Lernmodell bereits seit 30 Jahren praktiziert wird; Professor Michael Vogel brachte die Idee nach Bremerhaven. Die unternehmerische Aktivität im Team ist ein zentrales didaktisches Mittel des Studiums bei uns. Und die Rechtsform der Genossenschaft ist für uns perfekt, denn sie steht für die Beteiligung aller Mitglieder und für die Förderung der gemeinsamen Interessen. Die gemeinsame Entwicklung eines Geschäftsmodells, über die Kundenakquise bis zur Ausgründung aus der Genossenschaft, stehen vom ersten Moment an im Vordergrund.

Wie kann man sich das vorstellen? Da heißt es zum Anfang des Studiums: Denkt euch ein Geschäftsmodell aus und gründet eine Firma. Und die entwickelt man drei Jahre.

So ungefähr. Zuerst erarbeiten die Teams ihre Geschäfts­ideen. Im Team-Training, einem Lernformat im Stuhlkreis, wird entschieden welche Ideen weiter verfolgt werden. Natürlich sind auch welche dabei, die nicht tragfähig sind. Genau das zu erkennen ist zentraler Teil des Lernprozesses. Erweist sich eine Idee nach einer Analyse als potenzielle Chance, diskutieren die Teams die Organisation, suchen Kooperationen, planen die Vermarktung der Ideen. Da ist viel Eigeninitiative gefordert – auch beim eigenen Lernprozess.

Bedeutet Firmengründung nicht auch Kapitaleinsatz?

Unsere Firmen dürfen keine Kredite aufnehmen. Die Gründung muss, was die finanziellen Konsequenzen des Scheiterns betrifft, risikolos sein. Das ist wichtig, denn das Gründen ist immer hochgradig mit Scheitern verbunden – was bei typischen Start-ups ja auch nicht anders ist.

Was sind Projekte, die es bisher schon gab?

Ein buntes Spektrum. Ein Projekt entwickelt besonders kundenzentrierte Webseiten, eines beschäftigt sich mit Wandbegrünung, eines implementiert Chatbots und ein anderes möchte Insekten als Nahrungsmittel vermarkten. Daneben gibt es sozial ausgerichtete Projekte, beispielsweise eine Firma, die Kunstdrucke mit Künstlern aus Tansania herstellt.

Das letzte Beispiel klingt jetzt aber nicht unbedingt nach Gewinnerzielungsabsicht im ökonomischen Sinn.

Wir definieren das Thema Gründung auch weitgehender als nur durch den Aufbau von Unternehmen. Wir orientieren uns eher am umfassenderen Begriff „Entrepreneurship“. Das können dann auch Organisationen beziehungsweise Sozial- oder Non-Profit-Unternehmen sein, die öffentliche Gelder akquirieren und mit diesen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen.

Wie viele der Firmen, die bei Ihnen in den letzten fünf Jahren entwickelt wurden, haben bis heute überlebt?

Dazu haben wir noch keine genauen Zahlen. Einige der Absolventen nehmen ihre Idee mit. So zum Beispiel ein Team, das Nahrungsmittel aus Hanf herstellt, oder ein Student, der Messer aus Japan online vertreibt. Ein ehemaliger Student gründet gerade im Bereich Kosmetik, ein anderer entwickelt eine App für Notare. Andere machen vielleicht später etwas aus ihren Ideen. Das Wichtigste ist für uns, dass unsere Studierenden eigeninitiativ die Grundlagen schaffen für ein lebenslanges Lernen im unternehmerischen Umfeld bei dem sie sich auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind.

Ann-Cathrin Scheider ist In­no­va­tions­coach und Dozentin an der Hochschule Bremer­haven.