Weit weg vom richtigen Leben

Der DFB hat wieder einmal ein abgelegenes WM-Quartier gewählt. Am schnellsten kommen die Fußballerinnen zum Finalort Sydney

Von Frank Hellmann

Am Dienstagabend um 22.20 Uhr starten die deutschen Fußballerinnen vom Frankfurter Flughafen aus ihre WM-Reise. Nach einer Zwischenlandung in Dubai wird der DFB-Tross noch einmal fast 14 Stunden vor der Landung in Sydney unterwegs sein. Dann geht es im Bus noch fast 100 Kilometer nördlich ins Golfresort „Mercure Kooindah Waters“ in Wyong. Das Quartier liegt in (un)guter DFB-Tradition mal wieder ziemlich weitab vom richtigen Leben: in einer kleinen Ortschaft im Bundesstaat New South Wales hinter dem Tuggerah Lake, aber nicht direkt an der Küste.

Bedenken eines möglichen Lagerkollers entkräftet Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg mit dem Argument, ihr Team würde zu den Gruppenspielen gegen Marokko (24. Juli), Kolumbien (30. Juli) und Südkorea (3. August) die Nacht vorher in einem Transferhotel in Melbourne, Sydney und Brisbane untergebracht sein und damit das Großstadtflair spüren. Zwei Mal hat sich die 55-Jährige den Rückzugsort angesehen und Für und Wider abgewogen.

Die Gegner gehen andere Wege: Marokko hat sich im Großraum Melbourne, Kolumbien fast im Zentrum von Sydney und Südkorea rund 50 Kilometer südwestlich der Metropole einquartiert. Deutschland setzt auf Ruhe – und nutzt für die Inlandsflüge den näher gelegenen Airport in Newcastle.

Es würden vielleicht auch mal unerwartete Dinge passieren, erklärt Voss-Tecklenburg: „Wir dürfen keine Energie bei Themen vergeuden, die wir sowieso nicht beeinflussen können. Wenn wir mal eine Stunde auf dem Rollfeld stehen und nicht wegkommen, machen wir halt Videoanalyse im Flieger.“ Sie glaube, „dass wir das richtige Setting in unserem Basecamp haben“. Den Jetlag aus den Beinen zu schütten, wird erste Aufgabe sein, dazu müssen sich alle an eine andere Klimazone anpassen, die Nächte im australischen Winter können empfindlich kühl sein.

Entsprechend dosiert dürfen die Akteure anfangs nur belastet werden. Das Trainingsgelände („Central Coast Regional Sporting & Recreation Complex“) liegt nur sieben Kilometer südlich vom Teamhotel. Auf einem der neun Rasenplätze soll noch ein geheimer Formtest gegen männliche Junioren abgehalten werden.

Die Automatismen in der Offensive endlich zu festigen und die Lust auf Defensive wieder zu wecken, wird ein Wettlauf gegen die Zeit. Zumal der FC Bayern mit seiner verspäteten Abstellung seiner Spielerinnen der Nationalelf diesen Prozess noch erschwert hat. Doch erst einmal wird auch von DFB-Seite lieber Zweckoptimismus verbreitet. „Die Mannschaft hat sich zusammengefunden: Ich schaue zuversichtlich Richtung Down Under“, sagte Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften.

Zwei Mal hat sich Bundestrainerin Voss-Tecklenburg den Rückzugsort angesehen

Die Bundestrainerin ist zuversichtlich, wie bei der Europameisterschaft in England die Probleme auf den letzten Drücker lösen zu können. „Wir werden die Zeit in Australien nutzen, um uns bestmöglich auf unsere Aufgabe einzuschwören.“ Die vor den Olympischen Spielen 2000 in Sydney aus dem Nationalteam geflogene Voss-Tecklenburg freut sich auf eine WM „in tollen Städten mit tollen Stadien“. Wenn ihre Spielerinnen erst einmal australischen Boden unter den Füßen haben, werde auch deren Vorfreude steigen.

Die Stimmung könnte allerdings schnell kippen. Im Achtelfinale drohen der DFB-Elf bereits Brasilien oder Frankreich als Gegnerinnen. Ein frühes Scheitern wäre allein schon wegen dieser schweren Aufgaben möglich.

Eigentlich aber hat sich der zweifache Weltmeister sein Quartier auch ausgesucht, weil der Sieger der Gruppe H Viertelfinale, Halbfinale und Finale in Sydney bestreiten könnte. Doch mit solchen Planspielen ist aus deutscher Sicht Vorsicht geboten: Als der inzwischen ­geschasste Direktor Oliver Bierhoff für die Männer bei der WM 2018 in Russland eine Hotelanlage in der Nähe von Moskau auswählte, war der Hinter­gedanke, die Wege bis zum Endspiel kurz zu halten. Dummerweise war nach der Vorrunde schon Schluss, weil das letzte Gruppenspiel gegen Südkorea verlorenging. So heißt nun zufälligerweise auch der letzte Vorrundengegner der DFB-Frauen.