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Viel mehr als eine bunte Feier

Längst ist der Christopher Street Day bei uns eine feste Institution geworden. In mehr als 130 Städten gehen queere Menschen für sich und ihre Belange an die Öffentlichkeit

Die CSDs sind Umzüge mit Regenbogenflagge, aber auch politische Events   Foto: Christoph Hardt/Panama Pictures/picture alliance

Von Cordula Rode

Die Anfänge des CSD liegen inzwischen über 50 Jahre zurück. Im New York der 1960er Jahre waren Schikanen und Übergriffe gegen homo- und bisexuelle, trans* und nicht-binäre Menschen an der Tagesordnung. Obwohl die Bars, in denen sie sich trafen, legal waren, gehörten Razzien durch die Polizei zum Alltag. Die Be­su­che­r:in­nen mussten beschämende Untersuchungen, körperliche Übergriffe und die öffentliche Bloßstellung ertragen. Trotz Ängsten wuchs in der Community der Wille, sich zu widersetzen und für die eigenen Rechte zu kämpfen.

Als die Polizei in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 zum wiederholten Mal eine brutale Razzia in der Bar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street durchführte, kam es erstmals zu aktivem Widerstand. Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*­ Men­schen und vor allem Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe, die People of Colour, belagerten die Christopher Street – die Geburtsstunde der neuen Emanzipationsbewegung. Es kam zu tagelang anhaltenden brutalen Kämpfen zwischen Polizeikräften und Demonstrierenden.

Die „Gay Liberation Front“ (GLF), die wenige Wochen danach gegründet wurde, war die erste Interessenvertretung für queere Menschen. Am Jahrestag des Aufstandes organisierte die GLF einen Gedenkmarsch in New York vom Greenwich Village zum Central Park, den „Christopher Street Gay Liberation Day“, an dem mehrere Tausend Menschen teilnahmen.

Bis die Bewegung auch in Deutschland ankam, dauerte es noch ein ganzes Jahrzehnt. 1979 fand der erste CSD in Berlin statt, damals mit nur 450 Teilnehmer:innen. Inzwischen ist der CSD in mehr als 130 Städten in Deutschland zur festen Institution geworden. Von Aachen bis Zwickau gehen jedes Jahr Tausende von Menschen auf die Straße, um für Sichtbarkeit und ihre Rechte zu kämpfen. Die größten Paraden finden in Berlin und Köln statt – in Köln waren in diesem Jahr über eine Million Teil­neh­me­r:in­nen bei dem Umzug dabei. Zu den Gruppen bei den Umzügen gehören Vereine, Organisationen, Unternehmen, Behörden und Parteien.

Allen Veranstaltungen gemeinsam ist der Demonstra­tions­charakter. Die weitere Ausgestaltung hingegen ist für jede Stadt individuell, weiß Kai Bölle, Mitglied des Vereins CSD Deutschland: „Das hat jeder Veranstalter selbst in der Hand – ob mit oder ohne Fahrzeuge, mit Musik und Rahmenprogramm.“ Es gebe allerdings zurzeit den Trend, im Zuge der Diskussion über Klimaschutz im Interesse der Nachhaltigkeit auf Wagen und Trucks zu verzichten.

Der Siegeszug des CSD in Deutschland verlief nicht als stetige Entwicklung, sondern in zwei großen Schüben. Mitte der 1990er Jahre bildeten die Veranstalter der großen Paraden wie Berlin, Hamburg und Köln ein Netzwerk, um kleineren Städten mit ihrem fundierten Know-how bei der Organisation des CSD zu helfen. Daraufhin sahen sich auch kleinere Städte in der Lage, Veranstaltungen zu organisieren. „Ein weiterer deutlicher Anstieg erfolgte im Zuge der Erstarkung rechtsnationaler Tendenzen“, so Kai Bölle. Die Polarisierung durch diese Kräfte habe den Willen der Community gestärkt, ihre Sichtbarkeit und den Kampf für ihre Rechte zu erhöhen.

Gerade die Veranstalter in kleinen Orten sind oft besonders originell, weil die Bedingungen ganz andere sind als in den großen Städten. So zog die ländliche Gemeinde Wendland in Niedersachsen kurzerhand mit Treckern über die Dörfer. Auf ganz andere Weise nutzt die Stadt Konstanz ihre geografische Lage – sie veranstaltet traditionsgemäß den ein­zigen „grenzüberschreitenden“ CSD in Deutschland. Die Parade führt über eine Brücke nach Kreuzlingen in der Schweiz, wahlweise auch umgekehrt.

LGBTQ* Die Abkürzung ist aus dem Englischen übernommen und steht für „Lesbian Gay Bisexual Transgender Queer“. Damit können sich Personen identifizieren, die nicht den eingeschlechtlichen und heterosexuellen Normen folgen. Das Sternchen steht als Platzhalter für weitere Geschlechtsidentitäten.

Die Bezeichnung „Christopher Street Day“ wird hauptsächlich in den deutschsprachigen Ländern verwendet. In anderen Teilen der Welt spricht man eher von Gay Pride oder Pride Parade. Im Mittelpunkt der ersten Demonstrationen in Deutschland stand die Forderung nach Abschaffung des § 175, der noch bis 1994 sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte.

Die nächsten großen CSD-Veranstaltungen in diesem Jahr finden statt in Berlin (22. 7.), Hamburg (5. 8.) und Dortmund (2. 9.) Wer den Charme der kleineren Paraden bevorzugt, sollte über eine Reise nach Wiesloch (29. 7.) oder Papenburg (9. 9.) nachdenken.

Alle Termine und Infos findet man auf der Seite des CSD Deutschland e. V.: www.csd-deutschland.de

Welch große Aufmerksamkeit und Beachtung der CSD inzwischen erreicht hat, wird sich in diesem Jahr zum zweiten Mal in Berlin zeigen: Auf dem Kanzleramt wird die Regenbogenflagge wehen. „Das ist ein enorm wertvolles Symbol für unsere Bewegung“, freut sich Kai Bölling.

Doch die wachsende Popularität der CSD-Paraden ruft zunehmend auch Kritiker auf den Plan. So gibt es Stimmen, die vom „Karnevalsumzug mit Regenbogenflagge“ sprechen. Viele der Teil­neh­me­r:in­nen hätten keine echten persönlichen oder politischen Berührungspunkte mit der Community und würden einfach nur vom bunten Event-Charakter der Veranstaltung angezogen – ein Umstand, den man, so Kai Bölle, bei öffentlichen Feiern schlicht nicht vermeiden könne. Darüber hinaus wird manchen Firmen vorgeworfen, ihre Teilnahme an den Veranstaltungen als Marketing zur Umsatzsteigerung zu nutzen, oft als „Pinkwashing“ bezeichnet.

Diese pauschale Kritik kann Kai Bölle entkräften: „Das ist viel zu kurz gedacht – die Firmen schicken ihre queeren Mit­ar­bei­te­r:in­nen zum Umzug, geben ihnen frei, finanzieren die Teilnahme.“ Sie geben einer Minderheit ihrer Beschäftigten die Chance, sich zu zeigen. Und dass diese Aktionen umsatzsteigernd seien, sei in vielen Fällen mehr als zweifelhaft: „Viel größer ist die Gefahr, mit solchen Aktionen langjährige Kunden, die sich mit den Werten unserer Bewegung nicht identifizieren, zu verlieren – wir sind da ganz sicher die kleinere Zielgruppe.“