Zwischen Stadt und Land

Stadtgüter und Rieselfelder standen für den „Stoffwechsel“ zwischen Berlin und Brandenburg. Wie sieht es heute aus?

Von Uwe Rada

Nicht immer sind die Verbindungen zwischen Metropole und Provinz so augenfällig wie auf dem Zeisigberg bei Müllrose in Ostbrandenburg. Die dortige ehemalige Lungenheilanstalt haben die Architekten Paul Brandes und Paul Hakenholz 1907 in Anlehnung an den Jugendstil gebaut. Auf einem der reich verzierten Balkone der Gartenseite steht fast lebensgroß ein Berliner Bär mit Wappenschild aus Sandstein – ein untrüglicher Fingerzeig darauf, woher die Tuberkulosepatienten auf dem Zeisigberg kamen. Berlin versorgte Müllrose mit Kranken, Müllrose, das Tor zum Schlaubetal, versorgte die kranken Berliner mit guter Luft.

„Stoffwechsel“ nennt der Historiker Andreas Bernhard diesen Austausch zwischen der Metropole Berlin und der sie umgebenden Mark Brandenburg. Nicht nur die Rieselfelder auf den Berliner Stadtgütern gehörten dazu, sondern auch Heilanstalten wie die auf dem Zeisigberg. „Die Anstalten für Lungenkranke, Behinderte, psychisch Auffällige und Gefangene wurden bis Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Stadt hinaus ins Land verlegt“, sagt Bernhard.

Auch in umgekehrter Richtung gab es diesen Stoffwechsel. Die Ziegel für den Bau der Mietskasernenstadt Berlin stammten aus Zehdenick, die Kachelöfen kamen aus Velten, der Zement aus Rüdersdorf, das Obst aus Werder, die Gurken aus dem Spreewald. Wie aber sieht der Stoffwechsel heute aus?

Statistisch messbar sind vor allem die Wanderungsbewegungen. Nach Jahren des Bevölkerungsverlustes wächst Brandenburg auch wieder an der Peripherie und nicht nur im Speckgürtel. Die Berlinerinnen und Berliner ziehen also – immer weiter – raus aufs Land. Weniger messbar sind dagegen die Ströme, die vom Land in Richtung Stadt gehen: Windkraftanlagen, PV-Freiflächenanlagen, Kurzumtriebsplantagen oder Maischläge produzieren Energie und Biomasse, die vor allem in der Stadt verbraucht werden. Ist das Land also eine moderne Form der Plantagenwirtschaft für die Metropole?

„Brandenburg war immer ein Energie-Exportland und kann es mit Erneuerbaren Energien wieder werden“, heißt es in einer Studie von Scientists4Future für das brandenburgische Wirtschaftsministerium. Denn Brandenburg als Flächenland mit einer geringen Bevölkerungsdichte könne auch zukünftig andere Bundesländer wie Berlin mit Energieüberschüssen mitversorgen.

Das könnte allerdings auch zu weiteren Spannungen in der gegenseitigen Wahrnehmung führen. Solange die Menschen in den Dörfern nicht mehr als bisher von Windrädern oder Solaranlagen profitieren, wird der Widerstand dagegen bleiben, erst recht, wenn immer mehr Strom exportiert wird. Brandenburg versorgt Berlin mit grünem Strom und Berlin die Mark mit der Verspargelung der Landschaft?

Eine Gerechtigkeitsdebatte ist also nötig, sollte der Stoffwechsel keine Unwucht bekommen. Allerdings wird in Brandenburg heute keiner mehr bestreiten, dass Berlin mehr Segen als Fluch ist. Vor allem seit der Pandemie hat es nicht nur Berliner_innen aufs Land gezogen, sondern auch viele innovative Projekte. Andere Bundesländer wie Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern beneiden Brandenburg um dieses Kraftfeld in seiner Mitte.

An diesem Punkt könnte auch an eine Erfahrung der Rieselfelder und der Stadtgüter angeknüpft werden. Die Nachfrage aus Berlin könnte auch die Landwirtschaft in Brandenburg stärker in einen regionalen Kreislauf bringen. Bisher allerdings kommen nicht einmal 15 Prozent der in Berlin konsumierten Lebensmittel aus der Mark. Dabei würden laut Zentrum für Agrarlandforschung in Müncheberg bereits die landschaftlichen Flächen in einem Radius von hundert Kilometer Umkreis reichen, um die Berliner_innen zu ernähren.

Das Problem sind die fehlenden Wertschöpfungsketten, die verhindern, dass das, was in Brandenburg geerntet wird, in Berlin auf den Teller kommt. Eigene Schlachthöfe? Nur drei gibt es, mobile Schlachthöfe sind erst seit 2022 erlaubt. Kartoffelschälmaschinen, damit die Erdäpfel aus der Mark in den Berliner Mensen und Kantinen landen? Gab es nicht, bis vor einem Jahr. Molkereien? Da ist immerhin Besserung in Sicht.

Wer also Apfelsaft, Käse, Fleisch, Kartoffeln oder verarbeitete Produkte haben will, kann sicher sein, dass nur der geringste Teil aus der Region kommt. Zwar fördert das grün geführte Landwirtschaftsministerium inzwischen den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten, etwa bei der Verarbeitung von Kichererbsen. Auch die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg hat zahlreiche Projekte initiiert, andere wollen mehr Brandenburg an Berlins Schulen auf den Teller bringen.

Der Großteil dessen, was in Brandenburg geerntet oder produziert wird, landet aber immer noch auf dem Weltmarkt.