Obst vom Straßenrand

Im Westen Deutschlands sind die alten Obstalleen stark dezimiert worden. Doch auch im Osten werden sie weniger. In der niedersächsischen Elbtalaue kümmert sich ein Verein

Von Eiken Bruhn

Mit der systematischen Pflanzung von Obstbäumen entlang von Straßen und Wegen begannen deutsche Herrschende in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Diese Obstalleen waren schön anzuschauen, gliederten die Landschaft und warfen reiche Erträge ab, die einerseits das eigene Einkommen des Herrschaftshauses verbesserten und andererseits die Bevölkerung ernährten und ihr halfen, über den Winter zu kommen. Exemplarisch erforscht hat das Kirsten Lott, Leiterin des Referats für Stadtgrün bei der Stadt Desslau-Roßlau für das Gebiet des ehemaligen Herzogtums Anhalt-Dessau.

Dort betrieb ihr zufolge Fürst Leopold Friedrich Franz ein umfangreiches Landreformwerk, das später andere zum Vorbild nahmen. Dazu gehörten die Obstalleen. „An den Feldrändern haben die Obstbäume nicht gestört und keine Ackerfläche weggenommen“, erklärt Kirsten Lott, die über den deutschen Obstbau zwischen 1850 und 1910 ihre Dissertation verfasst hat. In dieser Zeit sei die Sortenstruktur ärmer geworden, die Bäume sollten viel Ertrag abwerfen. Zuvor sei nach persönlichem Geschmack gepflanzt worden.

Wie viele Kilometer Obstalleen es ursprünglich einmal gab, ließe sich nicht herausfinden, sagt Kirsten Lott. Unbekannt sei auch, wie viele erhalten geblieben sind. Die letzte Obstbaumzählung auf dem Gebiet der neuen Bundesländer habe es in den 60er Jahren gegeben. Seitdem ist die Zahl der Obstbäume entlang von Straßen kontinuierlich gesunken – vor allem in den alten Bundesländern, wo mit europäischen Geldern bis 1974 Rodungsprämien für Hochstamm­obstbäume – nicht nur an Straßen – gezahlt wurden, um die Plantagenwirtschaft zu fördern.

Doch auch im Osten lichten die Alleen aus oder verschwinden ganz, sagt Kirsten Lott. Das liegt zum einen daran, dass sie nicht mehr (oder falsch) gepflegt werden und Obstbäume an Bundes- und Landstraßen als verkehrsbehindernd betrachtet werden, jedenfalls dann, wenn sie zu nahe an der Straße stehen. Eine Chance haben sie nur dort, wo sich Menschen privat für ihren Erhalt engagieren.

Ein Beispiel dafür ist der vor zehn Jahren gegründete Verein „Hof Konau“ in der niedersächsischen Elbtalaue. Der rechtselbische gelegene Ort Konau gehörte wie die gesamte Gemeinde Amt Neuhaus bis 1993 zu Mecklenburg-Vorpommern. 10.000 Obstbäume stehen hier an 80 Kilometern Straße. „Davon sind einige allerdings recht ausgedünnt“, sagt Cornelia Bretz vom Verein. Die Faustregel: Je höherrangig die Straße, desto weniger Obstbäume. Eine Besonderheit der Region seien die Birnenalleen mit bis zu 120 Jahre alten Bäumen. Insgesamt wurden in der Gemeinde 122 Apfel- und 37 Birnensorten bestimmt. Manche Bäume tragen Früchte ohne Namen. Es gibt sie so nur dort, entstanden bei zufälligen Kreuzungen.

Als der Verein vor zehn Jahren die Pflege der Bäume im Auftrag der Gemeinde übernommen hatte, waren viele in schlechtem Zustand, weil sie jahrelang nicht gepflegt wurden. Darunter litten vor allem die Neupflanzungen. Zwischen 2004 und 2008 seien 3.400 neue Obstbäume dazugekommen, erzählt Cornelia Bretz. Das geschah zwar in allerbester Absicht, um die alten Obstalleen wieder aufzufüllen, aber Kreis und Gemeinde seien mit der Pflege überfordert gewesen. „Obstbaumpflege muss man können und ist sehr zeitaufwändig“, sagt die freiberufliche Umweltwissenschaftlerin. Das gelte erst recht, wenn die Bäume kilometerweit verteilt an Straßen stehen und nicht nebeneinander auf einer Wiese.

So sollen junge Obstbäume in den ersten Jahren möglichst kein Obst tragen, um erst einmal einen starken Stamm aufbauen zu können. „Sonst brechen sie unter dem Gewicht auseinander.“ An den alten hohen Birnbäumen können 500 bis 600 Kilogramm Obst hängen. Deshalb pflanze der Verein seit ein paar Jahren keine neuen Bäume mehr, sondern konzentriere sich auf die Pflege der Altbäume. Das sei aufwändig genug, zumal sie jetzt aufgrund des Klimawandels auch noch gewässert werden müssten.

Neben der kulturhistorischen Bedeutung hätten die alten Obstbäume eine wichtige ökologische Funktion: „Die sind wie Trittbrettsteine und schaffen Biotopverbünde“, sagt Cornelia Bretz. Insekten, Moose, Flechten „hüpfen“ von Baum zu Baum.

Die Verantwortung für die Pflege der Straßenobstbäume liegt seit anderthalb Jahren wieder bei der Gemeinde, weil dem Verein während der Pandemie die Finanzierung abhanden gekommen ist, vier Teilzeitstellen konnten nicht verlängert werden. „Die Gemeinde nimmt die Aufgabe sehr ernst“, sagt Bretz, das sei keine Selbstverständlichkeit. Der Verein bildet weiter die ehrenamtlichen Obstbaumwarte aus, die einen Teil der Bäume pflegen und im Gegenzug das Obst ernten dürfen. 27 von ihnen gibt es, viel zu wenige, um alles pflücken und aufheben zu können. „Da landet immer noch tonnenweise Obst auf der Straße.“