Zweimal Big Brother

Syrische „Medienfreiheit“: Im TV laufen Flirtshows und „Big Brother“, doch fürs Verlinken einer regierungskritischen Website droht Gefängnis

VON SOMEYA SHARIF

Demnächst werden in Syrien wieder Kandidaten für die arabische Version der Castingshow „Staracademy“ gesucht. Einerseits. Andererseits ging gestern der Baath-Parteitag zu Ende, auf dem auch über eine Lockerung des Kriegsrechts und der Pressezensur beraten wurde. (Das Ergebnis stand bei Redaktionsschluss dieser Seite noch nicht fest.) Was immer da rauskommt, an dieser Form der Schizophrenie wird sich wohl nichts ändern. Dabei wurde unter Baschar al-Assad zeitweise von einem Damaszener Frühling gesprochen.

Zwar gibt es mittlerweile neben den staatlichen Zeitungen al-Baath (Wiedererweckung), al-Thawra (Revolution) und Tishrin (Oktober) auch formal unabhängige Blätter, doch die werden staatlich subventioniert und kontrolliert. Deshalb sagen viele SyrerInnen, niemand brauche eine syrische Zeitung, ausgenommen der Falafelhändler, um Ware einzuwickeln.

Seit dem Putsch der Baathisten 1963 gilt das Kriegsrecht, seit 1965 kontrolliert die staatliche Nachrichtenagentur Sana Radio und Fernsehen. Syriens Journalisten sind Angestellte des Staates und müssen sich im Journalistenverband registrieren lassen. Bei Verstößen drohen Pass-Entzug, Berufsverbot, Verhaftung. Auch ausländische Journalisten haben kaum Freiheiten.

Dabei kam zunächst Hoffnung auf, als Baschar al-Assad 2001 die Macht übernahm. Die Baath Partei gab anderen Parteien die Möglichkeit, ihre Blätter an Kiosken zu vertreiben. Vier neue Zeitungen entstanden. Die Regierung genehmigte private TV-Stationen und Radiosender – soweit sie sich nicht mit Politik befassten. Neu sind auch zahlreiche Internetcafés. Doch die zwei einzigen Internetprovider, die staatliche Computergesellschaft und die syrische Post, kontrollieren Nutzer wie Netz. Schon die Weitersendung einer systemkritischen Website reicht aus, um wegen „Erschütterung des Vertrauens der Bevölkerung“ verhaftet zu werden. „Die Regierung will keine Veränderungen. Es gibt Anzeichen für eine Reform, jedoch keine strategische Entwicklung“, sagt der syrische Journalist Hakam al-Baba. Der „Frühling von Damaskus“, wie man die zeitweilig geduldeten Literaturzirkel zur Errichtung einer Zivilgesellschaft nannte, wurde voreilig zum Thema gemacht und blieb eine Fata Morgana.

Syrien ist heute eine Landschaft von Satellitenschüsseln. Sie würden geduldet, sagt Aktham Suleiman, Korrespondent des arabischen Nachrichtenkanals al-Dschasira in Berlin. Jeder dritte Haushalt hat eine. Und Fernsehen ist wichtig: Geschätzte 36 Prozent der Syrer sind Analphabeten. Al-Dschasira kommt genauso in die Wohnzimmer wie libanesische Unterhaltungsshows – eben auch „Staracademy“ und „Big Brother“.

Der Regierung ist die Macht des Satellitenfernsehens längst bewusst, und es gibt Versuche, unschöne Wahrheiten abzuschwächen. Doch bei den jeweiligen Sendern ist das Tor zur Welt längst offen. Dennoch zeigten die syrischen Regierungssender, als im Jahr 2003 die Saddam-Statue in Bagdad fiel, hektisch ein altes Fußballspiel. Heute wird genauso unzureichend über die Entwicklung im Libanon berichtet.

Seit einem Jahr ist immerhin das Al-Dschasira-Büro in Damaskus wieder geöffnet. Dennoch: Viele SyrerInnen sind politikverdrossen. Ihr Interesse gilt ägyptischen Soaps oder libanesischen Flirtshows, Musiksendern oder dem Kanal LBC. Denn hier läuft nun schon zum dritten Mal „Staracademy“.