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: „Man darf nicht versuchen, das zu verstehen“

Pilze, Bäume, Götter und Mythen: Das Tanzstück „Mycelia“ der Gruppe Commedia Futura erkundet in Hannover den Wald als Super-Organismus

Interview Jens Fischer

taz: Herr Piontek, wie übersetzt man das unterirdische Fädenflechtwerk der Pilze in ein Tanzstück?

Wolfgang A. Piontek: Unterschiedlichste Menschen, Ideen, Inspirationen haben sich für die Produktion wie ein Mycel zusammengefunden, verkörpern eine tiefe emotionale Verbindung und lernen dabei, sich als eine im Raum vernetzte Gemeinschaft auszudrücken. Wir haben uns vom Ort der Quadratkilometer großen Pilzmycele anregen lassen, dem mythischen Wald. Dort wohnen Dämonen, Geister, alte Gottheiten. Und die werden in unserer Choreografie auferstehen und tanzen, immer wieder ins Mycel zurücksinken und neue Bilder produzieren. Diese Mi­krogemeinschaft hat eine Intelligenz und entwickelt sich. Man darf nicht der Versuchung erliegen, das verstehen zu wollen.

Was ist konkret auf der Bühne zu erleben?

Wir versuchen, dass die Zu­schaue­r:in­nen in eine waldaufgeladene Atmosphäre kommen und die fünf Tän­ze­r:in­nen verschiedene Wesenheiten tanzen, beispielsweise Wotan, Artemis und die Große Mutter. Wir illustrieren das nicht, das ist der Subtext unserer Figuren, den die Tän­ze­r:in­nen in sich hineingegessen haben, um zu gucken, was für Energien und Emotionen das in ihnen erweckt.

Selbsterfahrungstanz?

Das ist als Ritual choreografiert und lebt von der Wiederholung, um hypnotische Zustände herzustellen. Die dann nicht Contemporary-Dance-Momente sind, sondern viel tiefer in etwas Meditatives gehen.

Tanzstück „Mycelia“: Premiere am Sa, 14. 10., 20 Uhr, Eisfabrik Hannover (ausverkauft); weitere Termine: 20./21./27./28. 10., 3./4./9./10./11. 11.

Für die Performenden?

Ja. Wenn sie es gut machen, geht es auch ins Publikum, wenn sie es schlecht machen, haben wir verloren.

Sie entwickeln also mit den heutigen Mitteln des Tanzes einen mythischen Ritus wie in der Antike?

Genau.

Es schwingt da die naturromantische Hoffnung auf ein höheres Miteinander mit. Sie verstehen den Wald als ­reale Utopie?

Foto: privat

Wolfgang A. Piontek

ist Regisseur und künstlerischer Leiter der Theatergruppe Commedia Futura, die seit 1987 in der Eisfabrik Hannover residiert.

Er könnte uns lehren, wie wir Menschen zusammen- und nicht gegeneinander existieren könnten. Mycel und Bäume leben ja in Symbiosen, unterstützen sich gegenseitig. Geradezu die kommunistische Utopie einer Gesellschaft, die nicht auf Konkurrenz, sondern auf Miteinander beruht. Das offenbart Wege, die wir gerade erfühlen und erahnen. Gegen die digitalisierte Welt, in der wir die Secondhand-Realität alle fünf Sekunden wegwischen, könnte der Wald eine beruhigende, meditative, heilende Wirkung haben. Eine Utopie von Rettung.

Das ist gerade ein populäres Thema. Die Vermenschlichung des Waldes als Großfamilie, Solidargemeinschaft. Stichwort „grüner Sozialismus“ – mit den Mycelen als Handels- und Kommunikationszen­tren. Aber Wissenschaftler weisen immer wieder darauf hin, dass das nur ein neuer Mythos ist, kein Forschungsergebnis beweise das, der Wald sei und bleibe ein komplexes, von Konkurrenzkampf beherrschtes Ökosystem ohne gemeinsames Ziel. Spielt diese Kritik bei ihnen eine Rolle?

Wissenschaft hinkt der Realität immer hinterher, sie ist ja gezwungen, alles zu beweisen, muss immer alles berechnen, das hat sich abgenutzt. Es gibt ja inzwischen positive spirituelle Wahrheiten, die wissenschaftlich nicht bewiesen werden können, aber trotzdem existieren. Ich vertraue der Wissenschaft nicht, weil sie uns nicht zurück in den emotionalen Körper führt, wie unser Stück es versucht, sondern in eine Denke, die uns vom Empfind­samen wegführt.