„Kinder sind das ehrlichste Publikum“

Ein Jubiläum, eine Einladung zur wichtigen „Tanzplattform“ – und das drohende Verebben finanzieller Förderung: Es sind wechselhafte Zeiten für das erfolgreiche Netzwerk „Explore Dance“. Ein Gespräch mit den Leiterinnen

Was Tanz alles sein kann: „Schwanensee in Sneakers“ von Anna Till und Nora Otte Foto: Stephan Floss

Interview Katrin Ullmann

taz: Frau Evert, Frau Meyer, seit fünf Jahren gibt es das Netzwerk „Explore Dance“. Die Produktion „Schwanensee in Sneakers“, in seinem Rahmen entstanden, wurde gerade zur „Tanzplattform 2024“ eingeladen – dem bedeutendsten Tanztreffen in Deutschland. Gute Gründe zum Feiern, oder?

Kerstin Evert: In jedem Fall! In 30 Jahren Tanzplattform hat es bislang nur sehr selten ein Stück für junges Publikum unter die zehn Ausgewählten geschafft. Von der Jury wurden über 550 Produktionen gesichtet. Unsere über fünfjährige Arbeit greift: Tanz für junges Publikum gewinnt auch in Deutschland endlich an Sichtbarkeit.

Mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen erreicht Explore Dance sein junges Publikum?

Uta Meyer: Im Netzwerk produzieren und touren wir Tanzstücke für verschiedene Altersgruppen, die auf der Bühne oder als mobile Pop-Ups direkt in der Schule aufgeführt werden. Wir laden die Klassen in die Probenprozesse ein und umrahmen die Aufführungen mit Vermittlungsprogrammen wie Workshops oder Nachgespräche.

Wie wird das von den Kindern angenommen, die – um es mit dem Buchautor Ottfried Preußler zu sagen – „strenge, unbestechliche Kritiker“ sind?

Meyer: Dass Kinder und Jugendliche das ehrlichste Publikum sind, ist ja gerade das Schöne! Sie sagen oft, dass es für sie etwas Besonderes ist, mit professionellen Cho­reo­gra­f*in­nen und Tän­ze­r*in­nen ins Gespräch zu kommen und dass ihr Feedback in die Stücke einfließt. Es gibt manchmal Skeptiker*innen, aber ich habe noch nie gesehen, dass ein Kind eine Vorstellung verlassen hat.

Kerstin Evert

hat Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen studiert und wurde zum Thema DanceLab – Zeitgenössischer Tanz und Neue Technologien promoviert. 2006 gründete sie das choreografische Zentrum K3/Tanzplan Hamburg, das sie seitdem leitet.

Die derzeitige Förderung durch die Initiative „Tanzpakt Stadt-Land-Bund“ – aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch die Kommunen und Länder – läuft Ende dieses Jahres aus. Wie geht es dann weiter?

Evert: Schulen und Künst­le­r*in­nen geben uns sehr positives Feedback, das bestätigt auch eine Evaluation. Es braucht unbedingt Kontinuität. Es gibt zudem großes Interesse von möglichen neuen Partnern in weiteren Bundesländern. Wir könnten in Zukunft noch viel mehr junge Menschen erreichen, egal ob sie in Städten oder ländlichen Regionen leben. Ohne Bundesmittel ist es nicht möglich, diese essenzielle bundesweite kulturpolitische Aufgabe zu erfüllen.

Gibt es dennoch Hoffnung?

Foto: Florence Rist

Evert: Was Hoffnung macht, ist die sehr gute Zusammenarbeit mit unseren sieben Ko-Förderern aus Städten und Ländern, die uns weiter fördern wollen. Das ermöglicht uns, 2024 zumindest einige Stücke der vergangenen Jahre weiterhin zu zeigen, den Kontakt zu den Schulen sowie unser Team zu halten. Wenn alles mit 2023 enden würde, wären die entstandene Expertise und die effektiven Strukturen verloren.

Zumal Kinder und Jugendliche ja auch eine flüchtige, weil erwachsen werdende Zielgruppe sind ... wie stark ist das Interesse des Bundes an einer nachhaltigen Förderung von Kultur für ein junges Publikum?

Uta Meyer

hat Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim studiert. 2019 übernahm sie die künstlerische Projektleitung für das bundesländerübergreifende Projekt „Explore Dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum“ in Hamburg.

Evert: Der 2023 eingeführte Kulturpass für 18-Jährige zeigt, dass der Bund junge Menschen als Publikum von heute ernst nimmt. Explore Dance will Tanz als Kunstform Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bundesweit zugänglich machen. In vielen Gesprächen auf Bundesebene haben wir großes Interesse erfahren. Das übersetzt sich hoffentlich in eine konkrete Förderung für das Netzwerk.

Die ausgezeichnete Performance „Schwanensee in Sneakers“ ist nun in Hamburg auf Kampnagel zu sehen, zudem an einigen Schulen. Wird in der Arbeit von Anna Till und Nora Otte dieses klassische Ballett tatsächlich mit Turnschuhen getanzt?

Meyer: Das Stück bezieht sich auf bekannte Choreografien. Es zeigt, was Tanz alles sein kann, und dass Ballett eine Facette davon ist. Natürlich gibt es auch einen Bezug zum Titel – aber wir wollen nicht zu viel verraten.

Schwanensee in Sneakers: vom 15. bis 17. 11. an mehreren Hamburger Schulen; Fr., 17. 11., 17.30 Uhr, Kampnagel/K3;

Internet: https://explore-dance.de, www.k3-hamburg.de/