Den Übergang von Demokratie zu Diktatur erkennen

Im Stasi-Museum ging eine Podiumsdiskussion der Frage nach, ob die DDR-Forschung zu Ende geht

Von Katja Kollmann

Am 15. Januar 1990 steht der kürzlich verstorbene Bürgerrechtler Carlo Jordan in Erich Mielkes ehemaligen Herrscherräumen auf dem Stasigelände in Berlin-Lichtenberg und denkt laut über eine künftige Gedenkstätte am Ort der ehemaligen DDR-Stasi-Zentrale nach.

Bereits seit dem 7. November 1990 gibt es das Stasi-Museum an diesem Ort, es wird getragen vom Verein „Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße e. V.“ (ASTAK e. V.). Der hat zum 34. Jahrestag der Besetzung des Sperrgebietes zu einer Podiumsdiskussion geladen und will die HistorikerInnen Katja Hoyer, Klaus-Rüdiger Mai und Klaus Schroeder fragen: „Ist das Ende der DDR-Forschung gekommen? Hat die bisherige Geschichtsschreibung die Biografien der ehemaligen DDR-BewohnerInnen entwertet? Wird die DDR gar falsch erzählt?“ Mit Hoyer (39), Mai (60) und Schroeder (71) sitzen drei Wissenschaftsgenerationen auf dem Podium, das Ost-West-Verhältnis ist 2:1.

Eigentlich eine gute Voraussetzung für eine spannende Auseinandersetzung, die aber nur schleppend in Gang kommt und hauptsächlich daran krankt, dass sich Schroeder und Mai immer wieder in kulturpessimistischen Allgemeinplätzen verlieren. Hoyer, die seit Jahren in London lebt, bleibt konkret.

In ihrem Buch „Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR“, zuerst auf Englisch erschienen, gibt sie auch einzelnen, nicht selten ambivalenten DDR-Biografien Raum. Hoyer plädiert dafür, so viele Perspektiven wie möglich zuzulassen, damit sich Menschen, die einen Großteil ihres Lebens in der DDR verbracht haben, in der Geschichtsschreibung wiederfinden können. Klaus-Rüdiger Mai erinnert mit seinem kürzlich erschienenen Buch „Der kurze Sommer der Freiheit“ an den 21-jährigen Herbert Belter, der mit Flugblättern gegen die Stalinisierung der frühen DDR ankämpfte und in Moskau hingerichtet wurde.

Mai fragt in die Runde: „Warum kennen alle in diesem Land Sophie Scholl? Aber fast niemand kennt Herbert Belter?“ Der „Wessi“ Klaus Schroeder hat mit „Der SED-Staat“ ein wichtiges Standardwerk zur DDR-Geschichte vorgelegt. Er leitet den 1992 an der FU gegründeten Forschungsverbund SED-Staat und konstatiert: „Wenn ich aufhöre, dann wird der Forschungsverbund dichtgemacht.“ Zwei Themen sind seiner Meinung nach noch viel zu wenig erforscht worden: der latente Rechtsextremismus in der DDR und die gravierende Umweltzerstörung.

Gerade die Beschäftigung mit DDR-Geschichte kann dafür sensibilisieren, findet Mai, zu spüren, wann Demokratie aufhört und wann eine Diktatur beginnt zu entstehen. Außerdem haben Menschen, die in der DDR lebten, die Erfahrung gemacht, dass ein Staat endlich sein kann.

Hoyer erzählt, dass sie vor Kurzem von einer FDP-Politikerin gefragt wurde, warum sie bei der Beschreibung der DDR-Wirtschaft sechs Faktoren aufgezählt habe, um zu begründen, warum die sozialistische Wirtschaftsform nicht funktioniert hat. Der Fakt, dass sie ineffektiv war, reiche doch aus, meinte die Politikerin.

Hinterfragt man dagegen das Narrativ der Stunde null, trifft man auf eine starke Grundempfindlichkeit der westdeutschen Seele, so Katja Hoyers Erfahrung. Junge Leute hingegen, stellt sie fest, wünschen sich oft, dass die geteilte Wahrnehmung in Ost und West endlich aufhört.